2310 POINTS 2013 Acryl auf dünnem Karton 34,8 x 22,3 cm rechts unten signiert und datiert links unten betitelt, rückseitig Stempel (Galerie Brolly, Paris)
Biographie
1934
Geboren in Fontenay-aux-Roses (Frankreich)
1955 – 57
Studium der Malerei, Beschäftigung mit Kubismus und Futurismus
1957
Begegnung mit Yves Klein
1958 – 59
Erste monochrome rote Tafel- und Strukturbilder (Strukturierung durch Spachtel, Messerrücken etc.), Fokussierung auf die Farbe Rot als Ausdruck von Feuer zur Erzeugung von Farb- und Lichträumen
1960
Erste monochrome rote Nagelbilder (Tableaux-clous)
1961
Erste Feuerbilder (Tableaux-feu), serielle Streichholzstrukturen, Feuerwege und Feuerobjekte
seit 1961
Beteiligung an zahlreichen ZERO-Ausstellungen europaweit, Veröffentlichung kunsttheoretischer Texte in Zeitschriften und Katalogen der ZERO-Gruppe
ab 1962
Nagelbilder mit von der Rückseite her durch die Holzplatte geschlagenen Nägeln, Nagelspitzen und zersplittertes Holz auf der Vorderseite werden mit roter Farbe bedeckt, Aktion (Anzünden, Abbrennen und Ausglühen) tritt bei den Feuerbildern und -objekten in den Mittelpunkt seines Schaffens, Teilnahme an der Ausstellung „Nul = 0 N°1“ im Stedelijk Museum in Amsterdam
1965
Programmatische Erklärung Aubertins „Je suis un réaliste“
1975
Übersiedlung nach Brest, erste monochrome Bilder, die mit Eisendraht konstruiert sind
1977
Documenta 6 in Kassel
1980
Teilnahme an der Ausstellung „Zero international Antwerpen“, Koninklijk Museum, Belgien
1983
Serie der Feuer-Zeichen, drittes großes sich drehendes Feuerrad
1984 – 85
Serie von roten Nagelbildern mit Splittern
1985
Rückkehr nach Paris, es entstehen schwarz-rote Pastelle der Serie „Glut“ und monochrome Pastelle
1986
Feuerzeichnungen (Dessins du feu)
seit 1988
Feuergedichte, Beginn der „Deuxième mur d’Allemagne“ (durchlöcherte, rote Aluminiumtafeln und Holztafeln)
seit 1989
Monochrome schwarze Bilder, die in Brandmalerei und mit der Lötlampe ausgeführt sind
1990
Beginn der Serie „Parpaing“ auf Holz
1991
Übersiedlung nach Reutlingen
1993
Umzug in die Stiftung für Konkrete Kunst in Reutlingen, seit 1993 Serie „Plein Rouge“
1995/96
Arbeit an Bildern, die mit dem Spachtel auf Leinwand ausgeführt sind (Hunderte von Farbschichten in Rot)
1997
Übergabe des Archivs von Aubertin an die Stiftung für Konkrete Kunst, Beginn der Serie „Nouveau Rouge“
2001
Bernard Aubertin actuel, Stiftung für konkrete Kunst, Reutlingen
2003
Beteiligung an der Ausstellung „Seeing Red“ (u.a. mit Rupprecht Geiger, Raimund Girke, Otto Piene, etc.), Hunter College Art Galleries, New York City
2006
Teilnahme an der Ausstellung „Zero“ Museum Kunst Palast, Düsseldorf
2009
75 x Aubertin, Stiftung für konkrete Kunst, Reutlingen
2014
Beteiligung an der Ausstellung „ZERO. Countdown to Tomorrow. 1950s-60s“ vom 10.10.2014 – 7.1.2015 im Guggenheim-Museum in New York
Bernard Aubertin und Zeitgenossen – Zum 80. Geburtstag, Ausstellung Galerie Maulberger
2015
Teilnahme an der Ausstellung : ZERO – Let us explore the stars, Stedelijk Museum, Amsterdam
Bernard Aubertin stirbt am 31.8.2015 in Reutlingen
bis 1907
unterbrochen durch Lehre des Malerhandwerks bei seinem Onkel
1906
Beginn der Freundschaft mit Oskar Schlemmer
1910-11
Kompositionsklasse bei Adolf Hölzel, Reise nach Paris
1912
einjähriger Aufenthalt in Amden/Schweiz
1913
Teilnahme am „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in der Galerie „Der Sturm“ in Berlin
1914-18
Kriegsdienst
1919
erste „Mauerbilder“, Mitglied der Berliner „Novembergruppe“
1920
Ausstellung mit Schlemmer und Schwitters in Galerie Arnold in Dresden, Reihe der Bilder „Der Maler“
1921-22
Aufsätze in dt. und franz. Zeitschriften über Baumeister, erste „Maschinenbilder“
1923
Teilnahme an der Eröffnung der „Bauhaus“-Ausstellung in Weimar, erste „Sport“-Bilder
1924
Baumeister lernt in Paris Le Corbusier und Léger kennen, erste „Schachspiel“-Bilder
1925-26
Beteiligung an Ausstellungen moderner Kunst in Paris und New York
1927
Berufung an die Städelsche Kunstschule in Frankfurt a.M. als Lehrer für Typographie und Gebrauchsgraphik
1929
Baumeister lehnt Lehrtätigkeit am Bauhaus Dessau ab, Begegnung mit Julius Bissier
1930
Mitglied von „Cercle et Carré“
1931
Mitglied von „Abstraction-Création“, „Flämmchen“-Bilder
1933
Entlassung aus dem Lehramt, „Sand- und Sportbilder Valltorta“
1935
Einzelausstellungen in Mailand und Rom
1937
Diffamierung seiner Werke in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München, Auslagerung von 64 Gemälden in der Kunsthalle Basel, „Ideogramme“
1938-39
weitere Ausstellungstätigkeit in London und Paris
1941
Mal- und Ausstellungsverbot
1942
„Afrikanische Bilder“, erste „Reliefbilder“
1943
„Gilgamesch“
1947
„Das Unbekannte in der Kunst“ erscheint
1948
„Salon des réalités des nouvelles“ in Paris, Beteiligung an der Biennale in Venedig
1949
Mitbegründer der Gruppe ZEN 49, Teilnahme an deren Ausstellungen (1950, 1951, 1953 und 1955)
1950
„1. Darmstädter Gespräch“, erste „Sandreliefs“
1951
Teilnahme an der 1. Biennale in Sao Paulo
1952
Teilnahme an der Biennale in Venedig, erste „Scheinreliefs“
1953
„Kessaua“-, „Montaru“- und „Monturi“-Bilder entstehen
1954
„Aru“-Bilder
1955
Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“ im Cercle Volney in Paris, documenta I, Baumeister stirbt am 31. August 1955 in Stuttgart.
Fotonachweis:
Kahren 1949/50, Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart
1918-29
Besuch der Missionsschule in Bensheim/Odenwald, dort Begegnung mit der Kultur Ostasiens und der buddhistischen und taoistischen Gedankenwelt
1930-32
Studium der alten Sprachen, Philosophie und Kunstgeschichte an den Universitäten in Münster und Königsberg
1932
Studium der Malerei an der Königsberger Akademie
1932-33
Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie als Meisterschüler von Paul Klee
1936
Erste Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln
ab 1937
Übersiedelung nach Köln, während der NS-Zeit Aufträge, u.a. als Buchillustrator, Dämonen-, Hexen-, Maskenszenen und Totentanz als Bildthemen, Heirat mit Brunhilde Hoppe, Aufenthalt in Paris
1940
Stipendium der Stadt Köln, Begegnung mit Alfred Kubin
1941-45
Militärdienst, nach Verlust des Ateliers in Köln
1946
Umzug nach Alfter, Gründung der „Donnerstags-Gesellschaft“ in Alfter mit Joseph Fassbender und Hann Trier
1948
Corneliuspreis der Stadt Düsseldorf, Mitglied der Gruppe „junger westen“, des „Deutschen Künstlerbundes“, der „Neuen Rheinischen Sezession“ und der Münchner „Neuen Gruppe“, Beginn der intensiven Beschäftigung mit Malerei und Kalligraphie des japanischen Zen-Buddhismus, „Zenga“
1949
Ausstellung im Kunstverein in Köln
1950
Preis „junger westen“
ab 1951
Mitglied der Gruppe ZEN 49, Teilnahme an deren Ausstellungen (1951, 1953, 1955 und 1956/57)
1952
Reise nach Spanien und Nordafrika, u.a. Werkgruppen „Jazz“ bzw. „Negro Spirituals“ und Industrie-Serien
1954
Beginn der „Nagelplantagen“
1955
Teilnahme an der Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“ im Cercle Volney in Paris
1957
Übersiedlung nach Rodenkirchen bei Köln
1959
Teilnahme an der documenta II in Kassel
1960-73
Professur an der Technischen Hochschule in Aachen, Werkgruppe „Sylt“
1961-62
etliche Kunstpreise
1963
Syrienreise, „Syrien-Serie“ entsteht
1969
Provence-Reise
1972/74
Kreta-Aufenthalte
1973
„Holland-Serie“
1978
Süditalien-Reise, „Herculaneum-Serie“
1979
stirbt Berke am 24. November in Köln-Rodenkirchen.
Galerieausstellungen
Hubert Berke – Metamorphosen des Schöpferischen (2009/2010)
Publikationen der Galerie
Hubert Berke – Metamorphosen des Schöpferischen (2009)
Fotonachweis:
Chargesheimer, Anf. der 50er Jahre, Nachlass Hubert Berke
Ohne Titel / 12. September 1958 Eiöltempera auf Leinen 17,0 x 18,5 cm links unten signiert und datiert 12. Sept 58
Biographie
1893
am 3. Dezember in Freiburg i.Br. geboren
1913
Kunstgeschichte-Studium an der Freiburger Universität
1914
Studium an der Kunstakademie in Karlsruhe
1914-18
Kriegsdienst
1919-27
Freundschaft mit dem Sinologen Ernst Grosse, der Bissier mit ostasiatischer Kunst vertraut macht
1920
erster Museumsankauf durch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, erste Einzelausstellung im Kunstverein Freiburg
1922
Heirat mit Handweberin Lisbeth Hofschneider
ab 1925
erste Arbeiten in ostasiatischen Pinsel- und Tuschtechniken
1928
Goldene Medaille Düsseldorf, Malerei-Preis des Deutschen Künstlerbundes
1929
Beginn der Freundschaft mit Willi Baumeister, allmählicher Übergang zu ungegenständlicher Malerei
1929-33
Lehrtätigkeit an der Universität in Freiburg
1930
Reise nach Paris, Begegnung mit Brancusi, Beginn der Tuschmalerei, die von
1932-47 zum wichtigsten Medium Bissiers wird
1933-43
enge Freundschaft mit Oskar Schlemmer
1934
Vernichtung des gesamten Werkes beim Brand der Freiburger Universität und Beendigung der Lehrtätigkeit
1933-45
keine Ausstellungsmöglichkeit
1935-38
Italienreisen
1939
Übersiedlung von Freiburg nach Hagnau am Bodensee, Entwürfe für Teppiche und Handwebereien
1947-54
farbige Monotypien, Holzschnitte, Tuschen
1952
Aufnahme Bissiers als Mitglied der Gruppe ZEN 49, Teilnahme an deren Ausstellungen (1953 und 1955)
1955-56
Beginn der „Miniaturen“ in Eiöltempera und der Aquarelle
1957
Freundschaft mit Hans Arp
seit 1957
alljährlicher Aufenthalt im Tessin
1958
erste große Retrospektive in der Kestner-Gesellschaft Hannover, anschließend in Duisburg, Hagen, Bremen, Ulm, wachsende internationale Anerkennung, Teilnahme an der XXIX. Biennale Venedig
1959
Corneliuspreis der Stadt Düsseldorf, documenta II, Freundschaft mit Ben Nicholson
1960
Sonderausstellung auf der XXX. Biennale Venedig, Kunstpreis der Stadt Berlin, Preis des Museums Sao Paulo
1961
Übersiedlung nach Ascona, Freundschaft mit Mark Tobey, Ausstellungen in New York und Brüssel
1962
große Retrospektive (Wanderausstellung in zahlreichen deutschen Städten)
1922
Erste Einzelausstellung in der Galerie Schames, Frankfurt, erste Studienreise durch Italien und Sizilien
ab 1923
Mitgliedschaft im Frankfurter Künstlerbund, zahlreiche Ausstellungen in deutschen Städten, Ankäufe durch das Frankfurter Städel (im Dritten Reich als entartet beschlagnahmt und verschollen)
1931
Übersiedlung nach Berlin
1933
Beteiligung an den Ausstellungen der Berliner Sezession (in deren letzter Ausstellung in Hamburg wurden Bilder von Brust durch die Nationalsozialisten entfernt) und Preußischen Akademie der Künste, Mitglied des Deutschen Künstlerbundes
ab 1933
Während des Nationalsozialismus keine Ausstellungen
1935-36
Reise nach Spanien und Ägypten
1943-44
Verlust fast aller Arbeiten bei der Bombardierung Berlins
1945-49
Aufenthalt in Oberfranken
1948
Teilnahme der Ausstellung „Kunst des 20. Jhs.“ in Regensburg
1949
Übersiedlung nach München, Bildredakteur beim Th. Martens-Verlag
1950
Illustrationen, v.a. zu Kinderbüchern
1952
Erste abstrakte Bilder
1953
Reise nach London
1954
Einzelausstellung in der Galerie Ophir in München, regelmäßige Beteiligung an der Neuen Gruppe im Haus der Kunst in München
1955
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast im Lenbachhaus in München, Teilnahme an der Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“ im Cercle Volney in Paris
1956/57
Teilnahme an der Ausstellungstournee durch die USA mit 7 Bildern, Einzelausstellung in der Galerie Schüler in Berlin
1957
Beteiligung an Ausstellungen in Tübingen, Ludwigshafen und München, Teilnahme an der Ausstellung „Arte tedesca dal 1905 ad oggi“ in Rom, Mailand und München (Haus der Kunst)
1958
Ankauf im Haus der Kunst durch das Hessische Kultusministerium in Darmstadt
1959
Mitglied der Frankfurter Sezession, Neuaufnahme als Mitglied des Deutschen Künstlerbundes, Berlin
1960
Einladung durch die Deutsche Botschaft in Stockholm zur Ausstellung eigener Werke und zum Vortrag über abstrakte Malerei in dem Kulturinstitut Deutscher Botschaft, Beteiligung an der von K. Buchholz kuratierten Ausstellung neuer deutscher Kunst, die in Kolumbien, Mexiko, Peru und Venezuela gezeigt wurde (4 Verkäufe)
1960
Brust stirbt am 6. September 1960 in München
Gedächtnisausstellungen:
1961 Kunstverein München und Stadtschloss in Fulda
Ohne Titel 1949 Öl auf Papier ca. 32 x 46 cm (Bildgröße) rechts unten monogrammiert am unteren Blattrand rechts unten signiert, mittig nr. 499 und links unten datiert Okt. 1949 WVZ Keller 1949/499
Ohne Titel 1949 Öl und Tusche auf Velin 21,1 x 27,2 cm rechts unten monogrammiert, am unteren Bildrand rechts signiert, mittig nr. 313 und links datiert Januar 1949 WVZ Keller 1949/ 313
Ohne Titel 1948 Ölzeichnung auf Papier, 23 x 28 cm rechts unten monogrammiert am Blattrand rechts unten signiert, datiert Nov. 1948 und rücks. nr. 251 WVZ Keller 1948/251
Ohne Titel 1959 Öl auf Leinwand 44,7 x 35,0 cm rechts unten monogrammiert
Biographie
1898
am 27. Februar in Königsberg geboren
1907
Nach Tod der Mutter wächst Cavael beim Großvater auf
1916-18
Kriegsdienst
1919-23
Tätigkeit in Berliner und Münchner Filmstudios
1923
Übersiedlung nach Hamburg, Besuch der Kunstschule
1924-26
Studium der Typographie und Angewandten Graphik an der Städelschule in Frankfurt a.M., erste abstrakte Arbeiten entstehen
1925-33
Tätigkeit als Werbegraphiker in Frankfurt
1926-31
Dozent für Angewandte Graphik an der Städtischen Handelsschule in Frankfurt
1927
Erste Kontakte zur Bauhaus-Idee
1931
Beginn der Freundschaft zu Wassily Kandinsky, Umzug nach Berlin
1933
Ausstellung mit Josef Albers im Braunschweiger Schloß wird von den Nationalsozialisten nach Eröffnung geschlossen, Berufs- und Ausstellungsverbot
1934
Umzug nach Partenkirchen und Eröffnung einer Diätpension mit seiner Frau Dorothea
1936-37
Neunmonatige Haft im Konzentrationslager Dachau nach Denunziation seiner künstlerischen Arbeit, Beschlagnahmung und Zerstörung eines großen Teils seiner Arbeiten
1944
Übersiedlung nach Garmisch
1947-52
Cavael betreibt mit seiner Frau ein Kino
1949
Bekanntschaft mit Hans Hartung, Einzelausstellung in der Galerie Otto Stangl, Gründungsmitglied der Gruppe Zen 49, Teilnahme an deren Ausstellungen (1950, 1953, 1955, 1956/57), Vorträge im Central Art Collecting Point in München
1950
Teilnahme am „1. Darmstädter Gespräch“, Ausstellung im Kunstverein Freiburg (mit Baumeister, Winter u.a.)
1955
Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris, Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, Einzelausstellungen im Kunstverein Braunschweig und der Kunsthalle Bremen
1956
Einzelausstellungen, u.a. in Kleemann Galleries in New York, Galleria Il Milione in Mailand
1956-73
Lehrer für abstrakte Malerei an der Volkshochschule München
1957
Kunstpreis München
1958
Teilnahme an der XXIX. Biennale in Venedig
1963
Retrospektive (Verona, München)
1968
Einzelausstellung in der Städt. Galerie im Lenbachhaus, München
1978
Verdienstkreuz 1. Klasse der BRD, Einzelausstellungen Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Städt. Galerie im Lenbachhaus, München
Rolf Cavael – Eine Zeitreise (2016) Rolf Cavael – Mit dem Kosmos in Berührung (2013) Rolf Cavael – Abstraktion als lebendiger Kosmos (2008) Rolf Cavael – Auf den Spuren der inneren Notwendigkeit (2003)
1917
Karl Fred Dahmen wurde in Stolberg bei Aachen geboren, Kindheit und Schulzeit in Köln
1932-33
Besuch der Kunstgewerbeschule in Aachen
1933-36
Lehre als Gebrauchsgrafiker
1936-38
freischaffender Maler
1939-45
Soldat, Kriegsgefangenschaft
1940
Heirat mit Martha Ursula Hesse
1941
Geburt des Sohnes Volker
1945
Rückkehr nach Stolberg, Aufnahme an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, die er jedoch kurze Zeit später verläßt; arbeitet seither als freier Künstler
1946
erste Einzelausstellung im Suermondt-Museum in Aachen
1950
Beteiligung an einer Ausstellung der Kestner-Gesellschaft in Hannover und „junger westen“ in Recklinghausen
1951-60
längere Aufenthalte in Paris, Auseinandersetzung mit der École de Paris
1952
Mitbegründer der „Neuen Aachener Gruppe“
1953
Gründung der „Gruppe 53“ mit Peter Brüning und Gerhard Hoehme
um 1953/54
„Stadtbilder“ entstehen
1954
Zeichenlehrer an einer Aachener Privatschule, Einzelausstellung in der Pariser Galerie Arnaud
ab 1956
Entwicklung informeller Strukturen
ab 1957
Mitglied des deutschen Künstlerbundes, Teilnahme an der Ausstellung „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Kunsthalle Mannheim und an der ersten Ausstellung in der neugegründeten Galerie 22, Düsseldorf
1958
„1. Internationaler Kunstpreis für abstrakte Kunst“ in Lausanne
1959
„documenta I“ in Kassel, Gruppenausstellungen in der Kunsthalle Baden-Baden, dem Institute of Contemporary Arts in London und der Kunsthalle Mannheim
1962- 67
jährliche Aufenthalte auf Ibiza
1962
Die Hamburger Kunsthalle erwirbt eine 1962 entstandene Arbeit von Dahmen aus einer Ausstellung in der Galerie Günther Franke in München
1963
„Montagebilder“, Einzelausstellungen in der Lefebre Gallery in New York und im Von der Heydt-Museum in Wuppertal. Die Nationalgalerie in Oslo erwirbt eine Arbeit von Dahmen.
1964
Einjähriger Lehrauftrag an der Kunstschule Bremen, Beteiligung an Ausstellungen, u.a. in Mannheim, Bremen, Baden-Baden, München, Heidelberg, Rotterdam, Pittsburgh, Paris, Madrid, Oslo und Luxembourg
1965
Objektkästen entstehen, Einzelausstellungen u.a. im Suermondt-Museum in Aachen, im Kölnischen Kunstverein und im Städtischen Museum Mönchengladbach
1966
Karl-Ernst- Osthaus-Preis der Stadt Hagen, Mitglied der „Neuen Gruppe“, München und des Westdeutschen Künstlerbundes
1967
Lehrstuhl für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, Übernahme der von Georg Meistermann geleiteten Klasse
1968
Professur an der Akademie der Bildenden Künste in München, Übersiedlung in den Chiemgau (Niederham), künstlerische Neuorientierung, sog. „Polsterbilder“, „Tele-Landschaften“ und die „Galgenbilder“ entstehen
1969-71
Aufenthalt auf Ibiza
1969
Einzelausstellung im Kunstverein in Augsburg
1972
Beteiligung an der 27. Biennale Nationale d‘Arte in Mailand, Einzelausstellung im Kunstverein in München, die Neue Sammlung der Stadt München im Lenbachhaus erwirbt das große dreiteilige Polsterbild „Chiemgau-Legende-Winter“
1973
Einzelausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien, das Museum erwirbt ein Objekt von Dahmen, Internationaler Grafikpreis von Ibiza
1974
Werkgruppe collagierter Farbkreidezeichnungen „Kalendertage“, Einzelausstellung in der Kunsthalle in Darmstadt
1977
„Furchenbilder“
1981
Karl Fred Dahmen stirbt in Preinersdorf / Chiemgau.
1908
am 26. Januar als Sohn von Willi Geiger in München geboren
1926-29
Architekturstudium an der Kunstgewerbeschule München
1930-32
Maurerlehre
1933-35
Studium an der Staatsbauschule München
1936-40
Tätigkeit in einem Architekturbüro
1940-44
Kriegsdienst, Aquarelle und erste Tagebucheintragungen über Lichterscheinungen, Kriegsmaler in der Ukraine
1943
in Griechenland bis 1944
1947
Teilnahme an der Ausstellung „Extreme Malerei“ in Augsburg, Begegnung mit Anthony Thwaites
1948
erstes abstraktes Bild „Traumbild mit abstrakten Formen“ wird im „Salon des réalités des nouvelles“ in Paris ausgestellt, Begegnung mit Jean Dubuffet
1949
Gründungsmitglied der Gruppe ZEN 49, Teilnahme an allen Ausstellungen der Gruppe
1949-62
Tätigkeit als selbständiger Architekt
1951
2. Domnick-Preis
1953/58/61
Einzelausstellungen in der Modernen Galerie Otto Stangl, München
1955
Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris
1958
Preis der internationalen Triennale für Farbgraphik in Grenchen, Schweiz
1959
Salomon Guggenheim Preis, New York, Teilnahme an den documenta-Ausstellungen II/III/IV und VI in den Jahren 1959/64/68/77
1962
Beginn der monochrom modulierten Farbfelder
1965
Beginn der Arbeit mit Spritzpistole und der Reihe von zweifarbigen Bildern, Einzelausstellung im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal
1965-76
Professur für Malerei an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf
1967
Einzelausstellungen in der Kestner-Gesellschaft in Hannover und der Städtischen Kunsthalle in Düsseldorf
1970
Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, Burda-Preis
1975-78
Einzelausstellungen im Museum Folkwang in Essen, Städtischen Kunsthalle Düsseldorf und Städtischen Galerie Lenbachhaus in München
1979
Ehrenmitglied der Kunstakademie Düsseldorf
1982
Einzelausstellung in der Städtischen Kunsthalle in Mannheim
1983
Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München
1988
Kunstpreis Berlin, Einzelausstellungen in der Akademie der Künste in Berlin und in der Staatsgalerie moderner Kunst im Haus der Kunst in München
1998
Einzelausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus/Kunstbau in München.
2009
Rupprecht Geiger stirbt am 06.12.2009 in München
ab 1935
Berufs- und Ausstellungsverbot, an das sich Götz nicht hält, Spritzbilder und abstrakte Kompositionen entstehen
ab 1936
Experimente mit abstrakten Filmen, Fotomalerei und Fotogrammen, Militärdienst bei der Luftwaffe
1941
Entstehung der Luftpumpenbilder, Studium an der Kunstakademie in Dresden, Freundschaft mit Will Grohmann
ab 1942
Freundschaft mit Willi Baumeister
1941-45
Fakturenfibel
1947
Ausstellung der Monotypien in der Galerie des Deux-Iles in Paris
1946
Einzelausstellung im Märkischen Museum in Witten
1948
Kunstpreis „junger westen“
1948-53
Herausgabe der Zeitschrift „META“
1949
als einziger deutscher Künstler Mitglied von „COBRA“, Teilnahme an der Cobra-Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam
1950
Einzelausstellung in der Zimmergalerie Franck, wiederholte Besuche in Paris
ab 1952
informelle Bilder, Ausstellung der „Quadriga“ in der Zimmergalerie Franck in Frankfurt mit Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze
1954
Erste Einzelausstellung in der Galerie Creuze in Paris, Gründung von „Phases“ zusammen mit Edouard Jaguer
1955
Gast der Gruppe ZEN 49, Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris
1956
Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft Hannover (mit K.R.H. Sonderborg), Westfälischer Kritikerpreis
1957
Teilnahme an den Ausstellungen „couleur vivante – lebendige farbe“ in Wiesbaden und „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Städtischen Kunsthalle Mannheim
1958
XXIX. Biennale in Venedig
1959
documenta II in Kassel
1959-79
Professur an der Kunstakademie Düsseldorf
1962
Marzotto-Preis für Europ. Malerei
1963
Beteiligung an der Biennale in Tokio
1965
Heirat mit der Malerin Rissa
1972
Publikation „Probleme der Bildästhetik“, zusammen mit seiner Frau, experimentelle Versuche zum Thema der visuellen Wahrnehmung und Persönlichkeitsforschung
1968
XXXIV. Biennale von Venedig
1981
Gruppenausstellung im Centre Georges Pompidou in Paris
ab 1992
Einzelausstellungen im Kunstverein Ludwigshafen, Kunstsammlungen Chemnitz, Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Albertinum / Gemäldegalerie
1989
Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen
1996
Staatspreis für Malerei des Landes Rheinland-Pfalz
2000
Goldener Ehrenring der Stadt Aachen
2001
Teilnahme an „Claude Monet und die Moderne“ in Fondation Beyeler in Basel / Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München
2004
Einzelausstellung Saarlandmuseum Saarbrücken
2007
Verleihung des Bundesverdienstkreuz I. Klasse.
2010
Retrospektive „In Erwartung blitzschneller Wunder“ im Arp Museum, Bahnhof Rolandseck in Remagen,
Verleihung der Ehrendoktorwürde der Kunstakademie Münster
Beteiligung an der Ausstellung „Le Grand Geste – Informel und Abstrakter Expressionismus 1946 – 1964“ im Museum Kunstpalast in Düsseldorf
2017
Karl Otto Götz verstirbt am 19. August 2017 in Wolfenacker.
Antworten von Karl Otto Götz auf Fragen von Carolin Weber
In Ihren 1941 entstandenen Luftpumpenbildern, den „Etudes“ von 1942 oder auch den Monotypien der späten vierziger Jahre haben Sie bereits die von Ihnen intendierte Formauflösung vorangetrieben. Würden Sie Ihre künstlerische Entwicklung hin zum Informel als eine fließende bezeichnen, oder setzen Sie die entscheidende Zäsur im Jahr 1952, als Sie die Pinsel- und Rakeltechnik für sich entdeckten?
K.O. Götz: Die informellen Versuche bei meinen wenigen Luftpumpenbildern 1941, sowie die Strukturelemente meiner Monotypien nach 1945 zeigen, dass mich die Auflösung von Formelementen schon vor 1952 interessiert hat. Ich hatte seit meiner Jugend einen Kernsatz im Kopf: Abstrakt ist schöner. Seit 1939 war ich mit Baumeister befreundet, so dass mich einige seiner Abstraktionen anregten, ab 1945 abstrakte Bilder mit einem fest-umrissenen Formen-Repertoire zu machen. Daneben entwickelte ich expressiv-abstrahierte Figurinen-Gouachen und Monotypien, in denen bereits informell-malerische Elemente vorkommen.
Der Satz: Abstrakt ist schöner zeigt jedoch, dass mich das Abstrakte in der Kunst beziehungsweise der Malerei immer stärker als das Figurative interessiert hat. Daher habe ich das Figurative in meinen Spritzbildern der 1930er Jahre, meinen Figurinen-Papierarbeiten oder das Anthropomorphe in meinen Monotypien nach 1945 formal immer als etwas Einengendes empfunden. Zudem war ich in den frühen 1940er Jahren ewig unruhig auf der Suche nach einer neuen Darstellungsmöglichkeit für meine Malerei. Wäre es anders gewesen, hätte ich nicht den Drang verspürt, nach der gesellschaftlichen und kulturellen Abschottung im Dritten Reich, ab 1949 ins europäische Ausland zu reisen, um neue künstlerische Anregungen zu suchen und zu finden.
Ab 1950 in Paris hatte ich das Glück, mit den zwei revolutionären (informellen) künstlerischen Konzeptionen bekannt zu werden, die die westliche Malerei noch vor Anfang der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Das war einmal die Malerei der Europäer Hartung, Wols und Fautrier, die abstrakte, frei entwickelte, grössere und grosse Pinsel-Strukturen vorführte, die nicht mehr in Abhängigkeit von der Form gegenständlicher Motive abgeleitet waren. Und es war für mich eine Offenbarung, die US-amerikanische Malerei des Abstrakten Expressionismus kennenzulernen, die mich die Beschleunigung meiner Malweise und meine Leinwände auf dem Boden zu malen lehrte, um 1952 meinen ganz persönlichen Beitrag zum Komplex der informellen Malerei zu leisten.
Um 1950 wurde um die Definition neuer Bildrealitäten gerungen. Dies ist in der Kunstgeschichte höchstens vergleichbar mit dem Paragone-Streit in der Renaissance, in dem um die Vorrangstellung von Skulptur und Malerei gestritten wurde. Wie haben Sie als Wandler zwischen den zwei „Welten“ Frankreich und Deutschland diese Diskussion empfunden? Gab es in Paris eine dem „Darmstädter Gespräch“ vergleichbare Kontroverse zwischen Figuration und Abstraktion, oder richtete sich der Kampf von Vertretern der gestischen Malerei gegen die Verfechter der geometrischen Abstraktion, der Ècole de Paris?
K.O. Götz: Nein, in Frankreich gab es die Kontroverse zwischen Figuration und Abstraktion, wie sie während der Darmstädter Gespräche stattfand, in dieser Schärfe nicht. Denn die klassische Moderne, wie sie sich beispielsweise bei Picasso, Miro, Braque oder Matisse zeigte, hatte nie etwas mit der strikten Abstraktion eines Wassily Kandinsky, Hans Hartung oder Wols zu tun. Eine besondere Mentalität, möglicherweise geboren im mediterranen Lebensgefühl, hielt die beiden Spanier und Franzosen – bei aller formalen Experimentierfreude – davon ab, Erzählerisches absolut fallen zu lassen. Im Gegensatz dazu wurde die abstrakte Kunst von dem Russen Kandinsky in München mit seinen Improvisationen 1911 aus der Taufe gehoben. Und die aus Deutschland gebürtigen Maler Hartung und Wols – beide waren Anfang beziehungsweise Mitte der 1930er Jahre für immer nach Paris gegangen – schufen in verschiedenen Zeitabschnitten eine erweiterte Form der abstrakten Kunst.
Da die Entstehung von Bildender Kunst in Europa bis heute immer noch ihre Veränderung in Form und Inhalt bedeutet, war abzusehen, dass es eine Gegenbewegung zur Modernen Kunst (Expressionismus, Kubismus und Abstrakte Kunst) geben würde. Die abstrakte Kunst hatte sich in Deutschland entwickelt. Parallel dazu entstand 1925 die realistisch-figurative Gegenbewegung der Neuen Sachlichkeit, ausgeprägt durch die Maler Otto Dix, Christian Schad, Rudolf Schlichter, Alexander Kanoldt oder Franz Radziwill. Felix Hartlaub, der Direktor der Kunsthalle Karlsruhe, hat in seinem Haus den Künstlern der Neuen Sachlichkeit in einer Ausstellung 1925 ein Denkmal gesetzt.
Und in Paris entstand zur gleichen Zeit durch internationale Namen wie André Breton, Max Ernst, Ives Tanguy, Salvador Dali und René Magritte die literarische Welt des Surrealismus und die surrealistische Malerei. In Italien hatte der bedeutende Maler De Chirico bereits um 1914 seine ungewöhnlichen, fantastisch-surrealen Bilder gemalt. Die Beobachter von Bildender Kunst können also wahrnehmen, dass trotz des Entstehens der abstrakten Kunst in Deutschland nachfolgende Generationen von Künstlern/innen in Europa wieder eine Hinwendung zur Figuration vollzogen hatten. In Deutschland war die figurative Malerei mehr realistisch und in Paris / Rom surrealistisch / poetisch.
Und dann kommt 1933 in Deutschland Adolf Hitler an die Macht. Damit wird Deutschland eine extrem rechts gerichtete Diktatur, in der dreizehn Jahre lang formale Experimente in der Kunst verboten waren. Nun hätte man denken können, dass jetzt die Malerei der Neuen Sachlichkeit die Malerei der Stunde gewesen wäre. Aber dem war nicht so. Denn in dieser Zeit war nur noch eine besonders langweilige, steife, linientreue Form von naturalistischer Malerei erlaubt: Zum Beispiel Frontsoldaten, blonde Mütter oder Bäuerinnen mit Kindern, geleckte weibliche Akte oder schöne Landschaften usw. Diese „Heile Welt – Thematik“ sollte die Ideologie des Nazi-Staates unterstützen, und die realistisch-magische Welt der Künstler der Neuen Sachlichkeit fiel bei dem Propagandaminister des Dritten Reiches, Joseph Goebbels, als „entartet“ in Ungnade.
1945 wurde Deutschland nach dem angezettelten, verlorenen Zweiten Weltkrieg von der westlichen Haupt-Siegermacht USA und der östlichen, der Sowjetunion, geteilt: Deutschland (West) in die Bundesrepublik Deutschland und Deutschland (Ost) in die Deutsche Demokratische Republik. Die Tendenz im Vorkriegsdeutschland, zwei Konzeptionen von figurativer Malerei, das heißt progressive Malerei der Neuen Sachlichkeit und den parteiischen Naturalismus beziehungsweise Realismus in der Nazi-Zeit hervorzubringen, wirkte sich nun im seit 1949 geteilten Deutschland in zwei Kontroversen zwischen Abstraktion und Figuration in der Bildenden Kunst aus.
Erstens: In der Rede (Formalismus-Doktrin) des sowjetischen Kulturfunktionärs Andrej Schdanow 1948 wurden sogenannte formalistische Dichter (Achmatowa), Künstler und moderne Komponisten (Schostakowitsch) scharf kritisiert. Der Vorwurf war, sie würden für das Volk zu individualistische, unverständliche und dissonante Werke, Kunst beziehungsweise Musik machen. Und damit gab es für die Sowjetunion und den von ihr diktatorisch geführten Ostblock und für alle Satelliten-Staaten, also auch für die DDR, von Staats wegen für die Künste nur noch das Programm des Sozialistischen Realismus.
Dazu wurden im Gegenzug von Politikern der westlichen Führungsmacht USA ausgewählte Agenten vom CIA beauftragt, die Malerei des Abstrakten Expressionismus als Propaganda zu benutzen, um die freiheitliche Denkweise in den USA gegenüber der restriktiven Kulturpolitik im unfreien Ostblock zu demonstrieren. Und das geschah, obwohl der amerikanische Präsident Truman, und gleichermaßen viele der einfachen Abgeordneten im Kongress, diese Kunstrichtung nicht verstanden beziehungsweise billigten, und manche von ihnen das Moderne an dieser Kunst sogar beschimpften und schädlich für den Geisteszustand der Bevölkerung hielten.
Hierzu möchte ich sagen, dass ich meine informelle Malerei nicht wegen dieses Kultur-Kampfes im Kalten Krieg zwischen den beiden Haupt-Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, USA und UdSSR, entwickelt habe. Im Gegenteil, obwohl ich wusste, dass der Abstrakte Expressionismus der US-Amerikaner für eine lange Zeit die Dominanz bei dieser Richtung beanspruchen würde, und ich deshalb im besiegten Deutschland (West) gar nicht damit rechnen konnte, dass ich mit meiner informellen Malerei grossartig aufsteigen würde, habe ich, weil ich bei dieser Richtung in der Malerei formal noch unausgeschöpfte, informelle Potentiale witterte, das informelle Prinzip künstlerisch auf meine Art bearbeitet und erweitert.
Eine zweite Kontroverse zwischen Abstraktion und Figuration entstand in der Bundesrepublik, weil 1948 Hans Sedlmayrs Buch „Verlust der Mitte“ auf dem Markt erschienen war, in dem der Kunsthistoriker beklagte, dass die Künstler der modernen Kunst den Verlust des Menschenbildes hervorgerufen hätten. Während der Darmstädter Gespräche 1950 war es unter anderen der abstrakte Maler Willi Baumeister, der dieser, die Kunstentwicklung einengenden, These widersprach. Diese Diskussion „ging zwar aus wie das Hornberger Schießen“, und 1959 zeigte die Documenta II in Kassel, breit angelegt, die Bilder des Abstrakten Expressionismus und des Action Painting aus den USA, des Tachismus aus Paris und abseits – unter dem Dach zusammengedrängt – das deutsche Informel. Damit war jedoch der Zenit der Beachtung für die deutschen Informellen bereits überschritten, denn 1951 hatte Robert Rauschenberg in den USA schon eine Zeichnung von De Kooning ausradiert, womit der internationalen westlichen Kunstgemeinde angekündigt wurde, dass eine neue figurative Kunstrichtung, die Pop Art, im Anmarsch war. Damit war klar, dass die deutsche informelle Kunst national und international nur noch wenig an Wertschätzung würde erlangen können.
Dass wir deutschen Informellen international mit unserer Kunst nicht viel Beachtung fanden, lag zudem daran, dass 1961 in Israel der Eichmann-Prozess eröffnet wurde. Dieser bewirkte, dass beispielsweise für Emil Schumacher, der damals das Glück hatte, Galerie-Kontakte in New York zu haben, seine in den USA geplante Ausstellung nicht durchgeführt und deshalb die Kontakte beendet wurden. So war dem deutschen Informel in Westdeutschland nur eine Kurzblüte bis 1959, mit wenigen deutschen Sammlern, vergönnt. Dieser Trend wurde noch durch die Tatsache verschärft, dass in dieser Zeit Paris seinen Rang als führende westliche Kunst-Metropole verlor und New York die Hauptstadt der westlichen Kunst geworden war.
Mit der Einmischung der hohen Politik in die Angelegenheiten der Kunst-Entwicklung war der Streit Abstraktion und Figuration nach 1945 sogar auf eine noch höhere Ebene verlegt worden, nämlich von der Ebene der privaten Entscheidung von Künstler/innen, ob sie figurativ oder ungegenständlich malen wollen, auf eine höchst brisante weltanschaulich-politische Ebene.
Heute ist die Kontroverse zwischen den beiden Richtungen, gegenstandslos oder gegenständlich, bei den westdeutschen Künstlern zumindest, weitgehend entschärft. Ein Grund dafür könnte sein, dass es gegenwärtig einige bedeutende Künstler und Künstlerinnen in Westdeutschland gibt, die Prinzipien der abstrakten und der informellen Kunst strukturell in der zeitgenössischen Kunst für ihre Arbeit verwenden. Nur darüber spricht und schreibt man bisher in der Öffentlichkeit noch nicht deutlich genug. Ich nehme aber an, dass diese Tatsache sich zukünftig ändern wird.
In meiner langen Antwort habe ich mir Mühe gegeben, bruchstückhaft etwas vom Hintergrund des Streites Abstraktion – Figuration in Deutschland überhaupt und während der Darmstädter Gespräche von damals zu beschreiben. Meine Antwort zur Lage der Maler der informellen Malerei in den 1950er Jahren in Paris fällt sehr kurz aus: Die Maler des Tachismus beziehungsweise des Informel arbeiteten gegen die Malerei der École de Paris, weil die Arbeiten dieser Maler entweder zu viel klassischen und/oder konstruierten Klein-Pinselduktus enthielten. Oder die Bilder der Künstler von „Abstraction-Création“ waren uns Informellen damals zu geometrisch und zu kalt. Diese Art von Kunst schien uns in den 1950er Jahren einfach in eine muffige Sackgasse zu führen.
In der Rezension zur Quadriga-Ausstellung schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 17.12.1952 von „Parallelerscheinungen“ in anderen Ländern. Ein allgemeiner Aufbruch, aus dem eine neue Form, ein neues Formverständnis erwachsen kann. Wie hat man sich das damalige „Networking“ unter den Künstlern vorzustellen? Gab es in Deutschland so etwas wie ein blindes Verstehen der Künstler, welche die radikal neue Kunstströmung konzipierten?
K.O. Götz: Es gab Anfang der 1950er Jahre in der Bundesrepublik (West) leider keine Hauptstadt, also auch kein einheitliches Kunstzentrum, in der sich alle Aktivitäten der Erneuerung der Malerei beziehungsweise der Kultur hätten bündeln können.
Da war die Zimmergalerie Franck in Frankfurt am Main, wo wir Quadriga-Künstler für eine kurze Zeit ausstellen konnten. Dann waren in Köln die Galerie Aenne Abels und die Galerie der Spiegel, die Künstler der Klassischen Moderne, und Abels zu einem späteren Zeitpunkt auch abstrakte Expressionisten aus den USA ausstellten. In Düsseldorf gab es ab 1957 als Neugründung die Galerie 22 von Jean-Pierre Wilhelm und Manfred de la Motte, wo unter anderen die Künstler der Gruppe 53 und auch ich für eine kurze Zeit eine Ausstellungsmöglichkeit hatten, und die Galerie von Alfred Schmela, die die Künstler der Zero-Gruppe und später neben anderen Beuys und Polke vertrat. In Westberlin existierten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Galerien Rosen, Schüler und Springer. Die Inhaber versuchten dort, moderne Ausstellungen zu organisieren. Zudem gab es die Galerien Franke und Stangl für klassische Moderne in München. Und als Neugründungen eröffneten die Galerien Van de Loo 1957 in München und Hans Jürgen Müller 1958 in Stuttgart.
Sie sehen an dieser Zersplitterung der Kunst-Aktivitäten in viele Zentren, dass aus diesem Grund die Vernetzung von uns Künstlern in Deutschland (West) extrem schwierig war. Bernard Schultze, Otto Greis, Heinz Kreutz und ich waren eine kurze Zeit für die Zimmergalerie Franck in Frankfurt am Main aktiv. Gerhard Hoehme, Karl Fred Dahmen, Norbert Kricke, Horst Egon Kalinowski und Nam June Paik lernte ich in der Galerie 22 in Düsseldorf kennen. Im Laufe der 1960er Jahre brachte ich Hoehme, Kricke, Geiger und Uecker an die Kunstakademie Düsseldorf, und dann kümmerte man sich wieder um sein eigenes Fortkommen als Maler.
Fautrier hat Karl Otto Götz als den besten deutschen Künstler bezeichnet. Welchen Kollegen hielten Sie Anfang der 50er Jahre persönlich für den bedeutendsten Künstler? Hat sich Ihre Einschätzung bis heute gewandelt?
K.O. Götz: Ich fühlte mich geehrt, dass dieser bedeutende französische Maler damals so lobend von meiner Arbeit sprach. Denn ich war schließlich ein Deutscher, und Deutschland war mit Frankreich im Krieg gewesen. Die Frage, wen ich als Künstler in dieser Zeit als sehr bedeutend empfand, kann ich heute nicht mehr beantworten, weil ich in meinem hohen Alter natürlich bis tief in die Geschichte rückwärts viele Künstler bedeutend finde. Da reichte wahrscheinlich eine halbe DINA4 Seite nicht aus, um sie alle aufzuführen.
Zahlreiche Diskussionen ranken sich um die Kunstgeschichte als eine fortlaufende, lineare Entwicklung. Der Kunsthistoriker Pierre Descargues dagegen beschreibt im Jahr 1953 die Kunst als eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Die Kunst lebe nach Descargues in Kreisen. Haftmann interpretiert 1959 die Prozesse als eher evolutionärer denn revolutionärer Natur. Wie würden Sie die stilistische Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert beschreiben?
K.O. Götz: Ich bin vom Fortschrittsglauben in der Bildenden Kunst weit entfernt. Ich vergleiche Neu-Entwicklungen beispielsweise in der Malerei mit einem Sternenhimmel. Das heißt in bestimmten Abständen, wenn die Kunst-Entwicklung frei ist, kommt eine, im besten Fall, neue, künstlerische Konzeption auf. Und es ist dann so, als ob am Kunsthimmel ein neuer Stern aufgegangen ist, der auch häufig für kommende Künstler und Künstlerinnen eine Quelle für künstlerische Weiterentwicklung bedeuten kann. Und schwache Sterne verlöschen auch wieder.
Der Begriff der „Räumlichkeit“ wurde in der Geschichte der Malerei in der abendländischen Kunst bei Bildinterpretationen immer wieder verwendet. Perspektivische Regeln zur wissenschaftlich genauen Anwendung von illusionistischer Räumlichkeit haben sich erst in der Renaissance entwickelt. Ende des 19. Jahrhunderts bekam der Illusionismus von dreidimensional dargestellter Räumlichkeit durch die Malerei des Realismus und des Naturalismus erneut eine Bedeutung.
Nun gibt es Texte über Kunst, in denen die Autoren den Begriff der Räumlichkeit auch mit der informellen Malerei in Beziehung setzen. Zum Beispiel hat Edouard Jaguer 1954 für Ihre Malerei die Formulierung eines „espace fouetté (aufgepeitschten Raumens) benutzt. Frage an Sie – K.O. Götz – was sagen Sie zu dieser Idee von Räumlichkeit in Ihrer Malerei und der Malerei überhaupt?
K.O. Götz: Nun, ich war mit Jaguer viele Jahre befreundet. Er hat meine Malerei geschätzt und unterstützt. Und sein Ausspruch vom „gepeitschten Raum“ gefällt mir sehr, obwohl ich sonst mit Raumbegriffen bei meiner Malerei nicht viel anfangen kann. Meine Freude darüber rührt wohl daher, weil ich diesen Ausdruck lyrisch finde, und Sie wissen, ich liebe Gedichte und formuliere selber welche.
Wichtig ist, hier eine klare Unterscheidung der verschiedenen Arten von Räumlichkeit zu treffen. Einmal gibt es Bilder (zweidimensionale Bildvorlagen) mit illusionistisch dreidimensional gemalten Motiven (Malerei des Realismus und des Naturalismus). Und zweitens gibt es Malerei mit einer eher zweidimensionalen Räumlichkeit (konstruktivistische und informelle Malerei). Ich nehme an, die ganze Diskussion um den Raumbegriff in der Malerei kommt einmal von Kant, der über die Phänomene Raum und Zeit in der „transzendentalen Ästhetik“ in der „Kritik der reinen Vernunft“ nachgedacht hat.
Rissa hat auf meinen Wunsch recherchiert und folgende Sätze dazu von Kant gefunden. Sie lauten: „Der Raum ist nichts anderes als die Form aller Erscheinungen der äußeren Sinne, das ist die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns allen Anschauung möglich ist.“ Und zum Begriff der Zeit heißt es: „Die Zeit ist die Form des inneren Sinnes, das ist das Anschauen unseres Selbst und unseres inneren Zustandes.“
Und der Diskussionsstoff Raum / Räumlichkeit in der Kunst kommt dann noch möglicherweise von der Tatsache, dass im Allgemeinen der visuelle Wahrnehmungsapparat des Menschen alle Körper/ Gegenstände in seiner Umgebung räumlich wahrnimmt. Wahrscheinlich haben sich deshalb im Laufe der Menschheitsentwicklung Architekten wie Künstler anschauliche Konstruktionshilfen wie zum Beispiel die der Zentralperspektive erdacht. Diese machte es möglich, eine illusionistische Räumlichkeit auf einer zweidimensionalen Bildvorlage zu erzeugen.
Außerdem sprechen Sie in Ihrer Frage die Malerei des Realismus und des Naturalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an, in der die illusionistische Räumlichkeit eine besonders naturnahe Qualität bekommen hat.
Zum einen, wie Rissa für mich wieder recherchiert hat, sollte die realistische Malerei, wie zum Beispiel die „Steineklopfer“ von Gustave Courbet, die fassbare Welt, die Alltagswelt möglichst objektiv darstellen und ihr dabei noch eine tiefere Wahrheit abgewinnen. Und die naturalistische Malerei, wie zum Beispiel die „Ährenleserinnen“ von Camille Corot, hatte das Ziel – „so zu malen, wie die Natur ist“, wobei das Wort „ist“ schon einen Denkfehler darstellt, weil die Natur natürlich noch viele andere, auch unsichtbare Eigenschaften und Abläufe beinhaltet, als es uns ihr natürliches Erscheinungsbild zeigt oder in den Hilfsmitteln der Perspektive dargestellt werden kann. Außerdem bemühten sich Künstler des Realismus und Naturalismus um die Darstellung von Licht und Schatten. Und es geht um die richtige Abbildung der Motive und ihre mehr oder weniger scharfe Darstellung für die Augen.
Diese vom Aussehen des Motives reglementierte Form der Malerei wurde schon durch den lockeren Malstil des Impressionismus Ende des 19. Jahrhunderts in Frage gestellt. Aber ab 1904 gab es einen weiteren Umbruch der formalen Struktur in der Malerei, indem halb-abstrakte und abstrakt-expressive Formen der Malerei beispielsweise im Fauvismus, Expressionismus und etwas später in der abstrakten Malerei auftraten. Und man kann sagen, dass die Betrachter bei Werken dieser Kunstrichtungen nicht mehr viel von der Räumlichkeit im klassischen Sinne, wie sie es bei den Bildern des Realismus und besonders des Naturalismus wahrnehmen können, vorfinden.
Da ich ein informeller Maler bin und meine Bilder zur gegenstandslosen Kunst gehören, habe ich meine Bilder nie als räumlich empfunden. Ich glaube, ich stehe mit dieser Aussage im Kreise meiner Quadriga-Kollegen alleine da. Denn erwähnten Sie nicht einmal, dass diese Maler bei ihrer informellen Arbeit Räumlichkeit mit ins Kalkül gezogen haben.
Manfred de la Motte sowie Rissa bezeichneten Sie als den „formellsten“ aller Informellen. Die Idee der Formveränderung durch eine informelle Malweise zieht sich als roter Leitfaden durch Ihr gesamtes Werk, von den Filmexperimenten mit Formverwandlungen im Jahre 1936 zu der Fakturenfibel (1941-45), in der Sie die Eigendynamik von Formen analysierten bis hin zur vollzogenen Formauflösung ab 1952. Auf dieses Thema verweist ebenfalls die von Ihnen 1984 initiierte und herausgegebene Zeitschrift mit dem Titel „Metamorphose“ bzw. META. Wie charakterisieren Sie Ihre Affinität zur Form?
K.O. Götz: Wie ich schon erwähnte, gibt es von mir die Bemerkung: Abstrakt ist schöner. Diese Aussage, bezogen auf Malerei, bedeutet: Ich als Maler habe eine besondere Vorliebe für die formale Dimension meiner Arbeit. Daraus können Sie entnehmen, dass ich bei meinen Bildern Formprobleme (informelle Strukturen) untersucht und sie immer gegenständlichen Motiven oder Inhalten vorgezogen habe.
Ihre künstlerisch-praktische Arbeit ist bis heute begleitet von intensiver Beschäftigung und wissenschaftlichen Forschungen über die Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie, über die Informationstheorie, die Filmtheorie und dabei insbesondere den Querbezug von kinetischen Lichtbild im Medium des Films zum gemalten Bild. In den 60er und 70er Jahren haben Sie und Ihre Frau, unter ihrem bürgerlichen Namen Karin Götz, sich der Analyse des „anschaulichen Denkens“ gewidmet, deren Erkenntnisse Sie 1972 unter dem Titel „Probleme der Bildästhetik“ publizierten. Haben die genannten Untersuchungen auf Ihre künstlerische Arbeit Einfluss genommen?
K.O. Götz: Ich sehe da keinen Einfluss meiner wissenschaftlichen Arbeit auf meine informelle Malerei. Vor meiner Beschäftigung mit Wahrnehmungs- und Kunst-Psychologie sowie Kunst-Philosophie beurteilte ich die informelle Kunst nicht nur vom visuellen Aspekt her, sondern ich sprach über sie auch in analogen Metaphern. Zum Beispiel nehmen wir den Satz: Das Wunder beim Schopfe packen oder den Begriff Paroxismus. Das waren nach meinem damaligen Sprachgebrauch bedeutungsvolle Aussagen, die aber auf meinen informellen Gemälden nicht unmittelbar wahrzunehmen sind. Seitdem ich jedoch mit meiner Frau 1972 das Buch „Probleme der Bildästhetik“ verfasst hatte, und ich dort für die Bildbetrachtung vier Dimensionen, die syntaktische, die semantische, die affektive und die künstlerische, aufgestellt habe, hat sich meine Beurteilung von informeller Kunst geändert. Es ist eine Freude, zu erleben, dass mich jetzt nur noch das Visuelle, die anschaulichen Strukturen an der informellen Malerei interessieren, und nicht mehr die oft gebetsmühlenhaft vorgetragenen Thesen, die der bisherige Sprachgebrauch – historisch bedingt – über die informelle Malerei hervorgebracht hat.
Ihr Quadriga-Kollege Bernard Schultze sprach, wenn er den Entstehungsprozess seiner Bilder beschrieb, von einem „inneren Monolog“. Das „aus dem Unbewussten aufgestiegene Bild“ sollte „zum Spiegel des Ichs“, zu einer Art „inneren Landschaft“, werden. Nach den explosiven Bildern Anfang der 50er Jahre zelebrierte Schultze ohne kompositorischen Plan und mit tastendem Strich die Methode der Langsamkeit. Diese Herangehensweise unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von Ihrem Schaffensprozess. Was würden Sie als das verbindende Moment ihrer Malerei bezeichnen?
K.O. Götz: Ja, Bernard Schultze ist bei seiner Malerei einen anderen Weg gegangen als ich. Er hat ein langsam geschaffenes, klein strukturiertes Informel verfolgt. Er hat zudem schöne Gedichte geschrieben, so kann ich nur vermuten, dass für ihn die poetische Selbstbeschreibung seiner Arbeit, die Sie in Ihrer Frage ansprechen, ein Ideengerüst darstellte, um sein Bildermalen in Gang zu setzen und zu halten. Ich brauche, wie bereits erwähnt, solche „inneren“ Vorstellungsbilder nicht, um arbeiten zu können. Meine Methode, zum Bild zu kommen, ist höchst nüchtern. Und Worte darüber empfinde ich als verbale Hilfs-Konstruktionen, denn das Anschauliche ist nicht auf den Begriff zu bringen. Ich frage Sie, sehen Sie da etwas Verbindendes?
Der von Yoshihara im Jahr 1954 gegründeten japanischen Künstlergruppe Gutai gilt das Material als Ausgangspunkt ihrer Kunst: „Der Geist zwingt nicht das Material zur Unterordnung. Wenn man das Material als solches belässt und es so als Material exponiert, beginnt es etwas auszusagen und es brüllt los.“ Welche Rolle gestehen Sie dem Malmaterial zu?
K.O. Götz: Das Malmaterial ist für mich ein Mittel zum Zweck. Das heißt, ich will mit äußerster Schnelligkeit malen, da ist die zähe Ölfarbe nicht das richtige Material. So bin ich auf die Wasserfarbe gekommen, bis 1999 waren es Plaka-Farbe, Wasser und Kleister, mit denen ich mein Positiv-Negativ-Programm beim Malen realisieren konnte. Danach ersetzte ich die Plaka-Farbe durch Acryl.
Realiter unterscheidet sich Ihre Kunst in mancher Hinsicht von den gängigen Kriterien des Informel. Vom „Zufalls“-Faktor lebt Ihre Malerei, doch lassen Sie nicht jedes zufällig gewonnene Bildresultat zu. Dem Endresultat messen Sie trotz der Schnelligkeit beim Mal-Akt großen Stellenwert bei. Beeinflussen die von Ihnen „ausgelöschten Bilder“ die Arbeiten, die in Folge entstehen?
K.O. Götz: Was sind die gängigen Kriterien für informelle Malerei? Ich kann nicht sagen, was meine informell malenden Kollegen gedacht und geäußert haben. Ich kann nur sagen, wie ich beim Malen vorgehe. Ich male mit verschieden grossen Pinseln auf die grundierte, mit Kleister versehene Leinwand blitzschnell meine Pinselzüge, die ich dann blitzschnell durch verschieden große Rakelschläge störe und unterbreche, so dass eine lebendig aussehende Positiv-Negativ-Verzahnung von Grund und Muster auf der Leinwand sichtbar wird. Mit dieser Methode entstanden bis um das Jahr 2000 viele gegenstandslose, durch schnelle und unendlich verschiedene Mal-Prozesse gewonnene rein informelle Bilder, die beim langsamen Malen niemals das Licht der Welt erblickt hätten. Dabei ist der Zufall erwünscht. Und was die „ausgelöschten“ Bilder anbelangt, so vergesse ich sie sofort nach ihrer Zerstörung. Um das Jahr 2000 entsteht mein Spätwerk, in welchem zusätzlich zu meiner informellen Malweise andere formale Mittel, zum Beispiel geometrische, von mir benutzt werden.
Ein Aphorismus von Wals besagt im Kern: „Die Welt existiert durch Rhythmus“. Er beschreibt darin, wie sich „das große All offenbart in einer Anzahl von Kreisen ohne Ende“. Buchheister hat den „Rhythmus“ als sein zentrales Thema bezeichnet. Welche Bedeutung hat für Sie „Rhythmus“?
K.O. Götz: Ohne Rhythmus sähen meine Pinselschläge und Rakelzüge starr aus. Also lebt meine Malerei vom Rhythmus meiner Pinselzüge und Rakelschläge.
Entgegen der surrealistischen Maxime, der Automatismus würde die Schichten des Unbewussten zu Tage fördern, betonen Sie, dass Ihre Kunst möglichst wenig von Ihnen preisgeben soll. Würden Sie Robert Motherwell zustimmen, der der Ansicht ist, „der bildnerische Automatismus“ habe „wenig mit dem Unbewussten zu tun“, vielmehr sei er „ein bildnerisches Mittel, um neue Formen zu erfinden, und als solches eine der großartigsten formalen Erfindungen des 20. Jahrhunderts“?
K.O. Götz: Ich stimme dieser Aussage von Robert Motherwell voll zu.
Bei Ihrem „Schnellmaler-Kollegen“ K.R.H. Sonderborg spielte „Zeit“ eine so große Rolle, dass er den Aktionszeitraum zum Bildtitel erhebt. Claude Monet wollte die „Instantanéité“, wie Svenja Kriebel formuliert, „eine zeitliche Dehnung des Augenblicks“, erfassen. Laut Norbert Kricke stellt sich „Zeit“ als Bewegung dar, der er Form zu geben versucht. In Bernard Schultzes Reliefbildern ist „Zeit“ im Wandel des Malmaterials, das sich organisch zu entfalten bzw. zu verfallen scheint, erfahrbar gemacht. Welche Relevanz kommt dem Faktor „Zeit“ in Ihrer Arbeit zu?
K.O. Götz: Meine Malerei wird in einer gewissen (sehr kurzen) Zeit vollführt. Die getrockneten Pinselschläge und Rakelzüge meiner Malerei zeigen, dass beide informelle Bewegungsformen nicht auf langsame Art entstehen konnten.
Unter Ihren Schülern befinden sich klingende Namen wie Gotthard Graubner, Gerhard Richter, Rissa, HA Schult, Franz Erhard Walther oder die erst kürzlich verstorbenen Künstler Kuno Gonschior und Sigmar Polke, die mit völlig differenten Konzepten, Malweisen und Intentionen sich einen Platz in der Kunstgeschichte erobert haben. Gerhard Richter übernahm beispielsweise Ihre Erfindung, den Rakel als Arbeitsinstrument in seinem abstrakten Werk. Welche Impulse haben Sie Ihren Studenten auf ihrer künstlerischen Wegfindung mitgegeben?
K.O. Götz: Ich vermittelte meinen Studierenden immer: Mich in meiner Malerei nicht nach zu machen, nicht das Telefon zum zweiten Mal zu erfinden, sondern sich zu bemühen, künstlerisch etwas Eigenes zu schaffen und vor allen Dingen mit seiner künstlerischen Arbeit durchzuhalten.
Matthias Bunge (in: Karl Otto Götz – Impuls und Intention, Hrsg. Ralph Melcher, Saarland-Museum Saarbrücken, 2004) konstatiert, dass sich die Erweiterung des Kunstbegriffs insbesondere in den gedanklichen, reflexiven Bereich vollzogen hat, das heißt der Künstler schalte sich zunehmend in den Prozess der Interpretation seines eigenen Werkes ein. Wandelte sich der Künstler vom nur Schaffenden zum Vermittler seiner Kunst? Hat sich demnach auch der Aufgabenbereich der Kunsthistoriker verschoben?
K.O. Götz: Für mich gibt es zwei Arten von Kunsthistorikern/innen. Die einen sind das Sprachrohr der alten Kunst, deren Künstler lange tot sind. Und alte Kunstwerke brauchen informierte Menschen, die eine Leidenschaft für diese Kunstwerke verspüren, so dass sie sich ihr Leben lang der Erforschung und Erhaltung dieser „sprachlosen“ Kunstwerke widmen.
Dass das notwendig ist, sieht man zum Beispiel an den Felsmalereien in der Höhle von Altamira, die man wegen ihrer Gefährdung durch die Atemluft der vielen Besucher geschlossen hatte, und die jetzt wieder für den Publikumsverkehr freigegeben werden soll. Aber niemand weiß, warum diese Malereien von den Steinzeitmenschen gemacht worden sind. Es gibt nämlich keine Aufzeichnungen darüber, weder von den Schöpfern der Felszeichnungen selber, noch von Chronisten, also beispielsweise „steinzeitlichen Kunsthistorikern“. Somit vermissen wir nachkommenden Generationen von Höhlenbesuchern die schriftlichen Zeugnisse über diese gemalten Darstellungen.
Die zweite Riege der Kunsthistoriker/innen begleitet theoretisch und wissenschaftlich die zeitgenössischen Künstler/innen und / oder die kürzlich Verstorbenen.
Nun sollte gefragt werden, was ist die Aufgabe der Kunstgeschichte heute überhaupt noch?
Zu aller erst möchte ich sagen, dass bedeutende Künstler/innen häufig ganz anders über ihre Kunst nachdenken und reden, als es in der Kunstgeschichte niedergeschrieben steht. Bedeutende Künstler/innen denken nämlich anschaulich-konzeptionell, und da braucht es nur wenig Begrifflichkeit. Künstler und Künstlerinnen gebrauchen, wenn sie sich überhaupt äußern, in vielen Fällen Worte mit Hinweischarakter. Zum Beispiel ist mein Satz Abstrakt ist schöner so ein Satz.
In der Kunstgeschichte dagegen wird das Kunstwerk im Kontext des gesamten Œuvres eines/er Künstlers/in und der jeweiligen Gesellschaft eines Landes im Verhältnis zu anderen Kulturkreisen beschrieben. Und es geht auch um die Persönlichkeit der Künstler/innen und wie die Betrachter die Kunstwerke rezipieren. Und bei der gegenständlichen Kunst geht es um ihre ikonographischen Fakten. Letzteres wird seit der Existenz des Dadaismus und der surrealistischen Malerei immer komplizierter.
Rissa hat auf meinen Wunsch hinsichtlich der Interpretationsmöglichkeiten eines Kunstwerks recherchiert. Dazu hat sie folgende Erklärung gefunden: Um eine nahezu umfassende Interpretation eines Kunstwerkes zu erlangen, muss der/die Kunsthistoriker/in nach dem Was (Motiv), dem Wie (formale Gestaltung), dem Wo (beispielsweise Deutschland oder Indien, Stadt oder Land, Nord, Süd, West oder Ost), dem Wann (1514 oder 2010) und dem Wer (männlicher oder weiblicher Künstler) fragen. Und die Frage nach dem Warum/Wozu ist zu komplex, um sie an dieser Stelle als einzelner Künstler beantworten zu können.
Wer beantwortet nun die Warum/Wozu-Frage? Eine Antwort könnte sein, dass in der Menschheitsentwicklung in allen Gesellschaftsformen immer vereinzelt Menschen auftreten, die zweidimensionale ebene Bildvorlagen mit figuralen oder abstrakten Formen gestalten wollen und dürfen. Diese werden – bis zum heutigen Tag – dann nach bestimmten, die Gesellschaft zusammenhaltenden, Regeln benutzt, bewertet und auch immer wieder tabuisiert.
Und dann gibt es bei der Rezeptionsgeschichte von Kunstwerken einige Kunstgelehrte, die sich nur dafür interessieren, wie die Betrachter die Kunstwerke, die sie in den Fokus genommen haben, einschätzen. Die Einstellung der Künstler/innen zu ihrem Werk und das Werk selbst werden in diesem Fall intellektuell nur am Rande gestreift.
Was die syntaktische Dimension von Kunstwerken anbelangt, so sind die Kunsthistoriker/innen meines Erachtens häufig von den sehr oft unterschiedlich ausfallenden Eigeneinschätzungen der Künstler/innen abhängig.
Es gibt nun nicht viele bedeutende Künstler/innen, die über ihre künstlerischen Konzeptionen Bedeutendes ausgesagt haben. Ich denke da an zwei verschiedene Formen ihres Sprachgebrauchs: Erstens den revolutionär-philosophisch-literarischen (Kandinsky, Duchamp, De Chirico und Ernst usw.), und zweitens den revolutionär-syntaktischen (Leonardo da Vinci, Kandinsky, Klee, Baumeister und einige meiner Ausführungen).
Unter den bedeutenden Künstlern/innen findet man jedoch viel mehr, die sich nicht oder nur andeutungsweise zu ihren künstlerischen Konzeptionen äußern wollen oder können. Das ist auch verständlich, denn der Satz: Künstler rede nicht, bilde nur, hat meines Erachtens auch heute noch seine Gültigkeit, da das Anschauliche, wie schon gesagt, nicht auf den Begriff zu bringen ist.
Um schließlich auf Matthias Bunges Vorstellung einzugehen, die besagt: Durch die Erweiterung des Kunstbegriffes schalten sich viele der Bildenden Künstler zunehmend in den Prozess der Interpretation ihrer eigenen Werke ein. So kann ich nur fragen, warum er diese Behauptung nur auf die Kunst des Erweiterten Kunstbegriffes, beispielsweise der Installationskunst oder der Konzeptkunst bezogen hat, und nicht auch auf die klassischen Formen der Bildenden Kunst wie Malerei, Graphik und Bildhauerei. Denn in den Büchern, Katalogen, Zeitschriften und Zeitungen, wo etwas über diese Kunstgebiete geschrieben steht, sind doch tatsächlich auch Texte zu finden, die ohne die konzeptionellen Ideen der klassischen Bildenden Künstler nicht zustande gekommen wären.
Trotzdem kann man Bunges Vorstellung: Künstler/innen wollen im Diskurs über ihre Arbeit nun endlich einmal ein Mitsprache-Recht gegenüber dem Schrifttum über die Kunst bekommen, etwas abgewinnen, denn einen Unterschied zwischen Konzeptkunst und zum Beispiel klassischer Malerei gibt es. Die Bedeutungszusammenhänge bei der Konzeptkunst sind inzwischen semantisch häufig so kompliziert und durch Anschauung allein kaum zu verstehen. Das heißt, sie sind inzwischen subjektivistisch in komplizierte, ideologische Höhen geschraubt worden, dass die Interpreten/innen möglicherweise auf die intellektuellen Fingerzeige der Produzenten von vorn herein angewiesen sind, und sie auch deshalb sehr begrüßen.
Ich denke doch, dass Bunge sich vorstellen kann, dass bedeutende Künstler/innen, gleich welcher Sparte, ihre künstlerischen Konzeptionen ganz genau beurteilen können? Außerdem glaube ich, dass viele Interpretationen zur modernen und zur zeitgenössischen Kunst in Zukunft von einer jungen Generation von Kunstwissenschaftler/innen auf ihren künstlerisch-konzeptionellen Realitätsgehalt hin überprüft werden sollten. Geschieht das nicht, dann sage ich voraus, dass viele der Interpretationen von der Kenner-Elite der Kunst nicht mehr gelesen werden.
Was die Deutung von informellen Bildern anbelangt, herrscht teilweise immer noch Sprachlosigkeit. Der Soziologe Arnold Gehlen schrieb diesen Erklärungsnotstand 1960 einer „Veränderung der Bildrationalität (zu), die es heute unmöglich macht, ein Bild zu beschreiben.“ Ihrer Meinung nach sind „ungegenständliche Bildfakturen begrifflich nicht erfassbar und können deshalb nicht adäquat beschrieben werden“. Als einen entscheidenden Zugang zum Verständnis der Bilder verweisen Sie auf die anschauliche Erkenntnis. Schätzen Sie das kunsthistorische Instrumentarium und die bisherige Herangehensweise als geeignet ein, sich dem komplexen Phänomen „Informel“ zu nähern? Oder halten Sie einen intensiveren interdisziplinären Austausch analog zu dem Entgrenzungsgedanken des Informel für erforderlich?
K.O. Götz: Ich denke, „Entgrenzungsgedanken“ ist für mich, wie Sie es der Malerei des Informel zuschreiben, ein nebulöses Wort. Und man braucht es nicht, um den unfruchtbaren Sprachgebrauch bezüglich der informellen Kunst zu überwinden. Nötig wäre nur eine unbefangene Kunsthistorikerschaft und Kunstkritikerzunft, um zu neuen Erkenntnissen über den Entstehungsprozess und die Wirkweise dieser gegenstandslosen Malerei zu kommen. Das hieße dann, das Informel und den Abstrakten Expressionismus von außen her zu beurteilen, was bedeuten würde, wirklich einmal differenziert die vielen unterschiedlichen Faktur- beziehungsweise Strukturelemente der beiden Kunstbewegungen anschaulich zu untersuchen, nach malerischer Innovation und der Kraft ihrer Ausführung zu fragen, und nicht immer die alten Sprachgebräuche mit sich zu schleppen, die bei neuen Kunstentwicklungen, häufig aus altem Sprachgebrauch geboren, leider gedankenlos weiter benutzt werden.
Seit der Quadriga-Ausstellung im Jahre 1952 erlebten Sie zahlreiche neue Kunstströmungen, wie beispielsweise Ende der 50er Jahre die Gruppe ZERO, die in den 60er Jahren dominierende POP-Art, die Konzept-Kunst der 70er Jahre oder das „Everything goes“ der Postmoderne in den 80er Jahren. Sie sind nach Manfred de la Mottes Charakterisierung „nicht von Idee zu Idee getorkelt“ und haben sich „noch weniger aber auf Geleistetem“ ausgeruht. Was ließ Sie an der informellen Auffassung festhalten?
K.O. Götz: Wie gesagt, hat mich das Gegenständliche an der Kunst beziehungsweise Malerei nach dem Dadaismus und Surrealismus nicht mehr so interessiert. Besonders weil die Fotografie naturalistische, realistische und surrealistische Darstellungen von Menschen, Figuren, Landschaften und Gegenständen in der Welt immer schneller, raffinierter und komplexer zeigen kann. Siehe zum Beispiel die Fotografen Sander, Umbo, die Bechers, Mapplethorpe, Wall und Gursky und viele andere mehr, die mit ihrem Fotoapparat künstlerisch im Gegenständlichen Grossartiges geleistet haben und noch leisten. Also für mich war Abstrakt ist schöner ein Programm. Und natürlich war es nicht die kalte Abstraktion, die meine Bilder ab 1952 bestimmte, sondern meine spontan-flüssig und schnell-hingeschriebene Malerei, die durch ihre unendliche Variabilität, innovative (informelle) Strukturen hervorbrachte. Man beachte, wie ich mit meinen informellen Schemata innovativ geblieben bin. Letztlich bin ich davon überzeugt, dass ein Kunstwerk, ob figurativ oder abstrakt, nur durch eine bestimmte Form von Abstraktionshöhe zu einem überragenden Kunstwerk wird.
Der richtige Blick für das Informel ist, besonders in den 50er und 60er Jahren, oft durch assoziative Vernebelung verstellt worden, statt der Eigentlichkeit und Autonomie der Bilder selbst zu folgen, lautet die These von Rolf-Gunter Dienst. Und aus dem Jahre 1978 stammt Rissas Aufruf, die informelle Malerei doch endlich kunstwissenschaftlich aufzuarbeiten. Hat sich die einstige von Dienst apostrophierte Vernebelung in den letzten 30 Jahren gelichtet?
K.O. Götz: Der Nebel beginnt sich zu lichten, denn junge deutsche Kunsthistoriker/innen beginnen in der Gegenwart genaue Fragen in Richtung des deutschen Informel zu stellen, im Vergleich zur Richtung des Abstrakten Expressionismus. Allerdings wie heute in Frankreich oder in Italien der Tachismus oder L’Art Autre und das italienische Informel von den Gelehrten bearbeitet wird, entzieht sich meiner Kenntnis, ganz zu schweigen von den USA, wo es um das Action Painting und um den Abstrakten Expressionismus geht.
Martin Schieder hob in seiner 2005 entstandenen Publikation „Im Blick des Anderen“, in der er die deutsch-französischen Kunstbeziehungen beleuchtet, den Dichter, Kunst-Schriftsteller und Maler Edouard Jaguer wegen seines ungewöhnlich zukunftsweisenden Kunstverständnisses hervor, das der Autor den damals ausschlaggebenden deutschen Kunsthistorikern, wie Haftmann, Grohmann und Roh zur Zeit der Quadriga-Gründung teilweise absprach. Würden Sie Schieder hier beipflichten? Und ist der damalige fehlende Rückhalt deutscher Kunstexperten als ein Grund für die bis heute anhaltende, eher stiefmütterliche Behandlung des deutschen Informel in internationalen Ausstellungen zu sehen, wie zuletzt in der Ausstellung „Action Paintig“ in der Beyeler Fondation? Welche Ursachen würden Sie dafür verantwortlich machen?
K.O. Götz: Da gibt es viele Ursachen. Eine Ursache sehe ich darin, dass wir deutschen Künstler nach 1945 aus dem mörderischen Zweiten Weltkrieg kamen. Deutschland hatte den Krieg verloren. Und die damals mächtigste Siegermacht der westlichen Welt war die USA. Ihre Künstler und Künstlerinnen hatten in den frühen und mittleren 1940er Jahren den Abstrakten Expressionismus und das Action Painting aus der Taufe gehoben. Und um die US-amerikanische Kunst den amerikanischen Sammlern schmackhaft zu machen, stellten US-amerikanische Kunsthändler diese Werke in 1950er Jahren zuerst einmal in Europa, zum Beispiel unter anderem in der alten Kunsthauptstadt Paris aus. Damit kam plötzlich eine dominierende neue Kunstform nicht mehr aus Europa, sondern aus den USA. Nachdem Ende der 1950er Jahre Paris seinen Rang als Kunsthauptstadt der westlichen Welt zugunsten der Stadt New York verloren hatte, kauften die amerikanischen Sammler nicht mehr die klassische Moderne und die neue US-amerikanische Kunst in Europa, in Paris, sondern sie kauften ihre eigene neue US-amerikanische Kunst und später die nachfolgende in ihrem eigenen Land. Diesem Trend folgten dann auch die wenigen Sammler von moderner und zeitgenössischer Kunst in der Bundesrepublik. Diese Vorgänge zeigen, dass sich der künstlerische Start der deutschen Informellen in Frankfurt am Main und in Düsseldorf von Anfang an neben der mächtigen Konkurrenz der amerikanischen Künstler vollzog, womit für die deutschen Informellen die Weichen für fehlenden Rückhalt in der bundesrepublikanischen Sammlerschaft, und bei nicht wenigen, damals noch vorwiegend männlichen, Kunsthistorikern gestellt waren. Besonders die politisch neutrale Schweiz, mit einem trotz des Zweiten Weltkrieges intakten Kunsthandel, orientierte sich nach 1945 sehr schnell an der US-amerikanischen Kunst. Dank einer Schenkung einer Schweizerischen Versicherungs-Gesellschaft zeigte das Kunstmuseum Basel, unter der Leitung von Georg Schmidt und der Initiative des Konservators Arnold Ruedlinger, 1958 die erste Ausstellung des Abstrakten Expressionismus und des Action Painting in einem europäischen Museum. Dieses Ereignis wird wohl bis zum heutigen Tag ein deutliches Signal für die Schweiz und für Deutschland gewesen sein, den Arbeiten der US-amerikanischen Künstlergruppierung des Abstrakten Expressionismus und des Action Painting, den Vorrang in der künstlerischen Bewertung vor den Künstlern des europäischen beziehungsweise des deutschen Informel, zu geben. Eine Tatsache erklärt das bis zur Gegenwart, nämlich, dass in der Ausstellung Action Painting 2008, in der Fondation Beyeler in der Schweiz, die deutschen Informellen weggelassen wurden und dort auch Maler ausgestellt waren, die gar keine informellen Künstler sind. Letzteres zeigt, dass die Bedeutung der strukturellen Innovation, die die informelle Malerei in Deutschland (West) gebracht hat, in der Vorstellung von einigen der vielen Kuratoren und Interpreten, die sich mit der informellen Malerei generell befassen, noch nicht genau geklärt ist.
Die deutschen Informellen bewirkten mit der Revolutionierung der traditionellen Bildkonzeption, der Malweise und der Aufwertung des Entstehungsprozesses sowie der Öffnung des Bildraums in den Realraum eine konzeptuelle Vielschichtigkeit, die den „erweiterten Kunstbegriff“ eines Joseph Beuys, Gerhard Richter oder Nam June Paik stark beeinflusste. Ist der Wirkungsradius, den das deutsche Informel auf nachfolgende Kunst-Strömungen wie beispielsweise die Kinetische Kunst oder die Fluxus-Bewegung der 60er Jahre ausgeübt hat, Ihrer Meinung nach genügend erforscht?
K.O. Götz: Nein, der Wirkungsradius ist meines Erachtens noch nicht genügend erforscht.
In zahlreichen Einzelausstellungen wurden groß angelegte Ausstellungen, wie „Action Painting“ im Beyeler Museum in Basel oder „Le grand geste! Informel und Abstrakter Expressionismus“ im museum kunst palast in Düsseldorf organisiert. Was würden Sie sich als Protagonist dieser Kunstrichtung von den Kuratoren zukünftiger Informel-Ausstellungen wünschen?
K.O. Götz: Ich wünsche mir Kuratoren und Kuratorinnen, die nicht die ungegenständliche, informelle Malerei gegen die gegenständlich, figurative Malerei ausspielen. Außerdem sollten sie lernen, genauer ihren Augensinn beim Bilderbetrachten zu benutzen, damit sie schneller die syntaktische Dimension eines Gemäldes künstlerisch beurteilen können. Um dann auch bei neuer, unbekannter Malerei hochqualifizierte Werke herausfinden zu können. Ist es nicht so, dass heute zwar viel über die semantische Dimension der Kunst, aber wenig Erhellendes über die Abstraktionshöhe ihrer Formentwicklung geschrieben wird?
Ich habe hier noch etwas zu meinem Interview für die Zeitschrift Sediment, das ich kürzlich für Zadik in Köln gab, nachzutragen. Ich möchte einigen Personen danken, die mir und der informellen Kunst eine Zeitlang gedient haben, und die ich in dem Sediment-Interview leider vergessen habe zu erwähnen. Es sind unsere Freunde, das Ehepaar Theo Bergenthal und Sigrid Bergenthal, die meine und Rissas Malerei in der Villa Wessel in Iserlohn in den Jahren 1995/96 mit Hilfe von Joachim Stracke in Einzelausstellungen gezeigt haben, und jetzt am gleichen Ort, im April 2011, eine K.O. Götz und Rissa-Ausstellung machen werden. Dann sind zu nennen Fernseh-Redakteure/innen, die über meine Malerei gute Filme gedreht haben: Gerd Winkler, Christel Körner, Pia Götz, Ludwig Metzger und bis zum heutigen Tag Harriet Weber-Schäfer. Mit den beiden letzten Personen sind wir Freunde geworden.
Und schließlich möchte ich an dieser Stelle Rissa danken, dass sie, auf meinen Wunsch hin, die komplexen Zusammenhänge meiner Kunstentwicklung im Kunstbetrieb aufgeschrieben und nach Fakten recherchiert hat. Damit wurden meine Antworten angereichert mit, von mir längst vergessenen, Zahlen und Fakten, wodurch mein Interview für die Leser von heute interessant wird und einen Sinn bekommt.
Fotonachweis:
Foto Karl Otto Götz: VG-Bildkunst Bonn, 2010
K.O. Götz während der Arbeit mit dem Rakel, Wolfenacker 2009: Peter Garten / MEISSEN
K.O. Götz hält einen kleinen Rakel, Wolfenacker 1987: Willi Kemp / Köln
Karl Otto Götz, 2010: Werner Baumann / Höhr-Grenzhausen
1938-40
Frieslandaufenthalte, Aquarelle und Ölbilder
1940-44
Kriegsdienst
1945
Begegnung mit Ernst Wilhelm Nay
1951/1952
erste informelle Bilder, längere Aufenthalte in Paris
1952
Quadriga-Ausstellung in der Zimmergalerie Franck mit Karl Otto Götz, Heinz Kreutz und Bernard Schultze
1953
Serie „Funktionales von Fleck und Strich“, Kontakt mit René Drouin und Michel Tapié
1955
Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris
1957
Teilnahme an den Ausstellungen „couleur vivante – lebendige farbe“ in Wiesbaden und „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Städtischen Kunsthalle Mannheim, Übersiedlung nach La Frette sur Seine bei Paris
1959
documenta II in Kassel
1959-61
intensive Beschäftigung mit der romanischen Kunst in Frankreich und der Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts in Italien
1962/1970/1984
Einzelausstellungen in der Städtischen Kunsthalle in Mannheim
1968
Einzelausstellung im Badischen Kunstverein in Karlsruhe
ab 1969
jährliche Aufenthalte im Mittelmeerraum
1978
Einzelausstellung in der Kunsthalle in Bremen
ab 1983
Aufenthalte in der Gebirgswelt Südspaniens
1984
Umzug nach Ockenheim / Rhein, Ausstellung zusammen mit Karl Otto Götz im Museum Wiesbaden
1988/89
Einzelausstellung im Landesmuseum in Mainz
1996
Einzelausstellung im Kunstverein Ludwigshafen
2001
stirbt Otto Greis am 30. März in Ockenheim
2003
Einzelausstellung im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt
Galerieausstellungen
Gruppenausstellung
Zeitzeugen – 35 Jahre Galerie Maulberger (2020) INFORMEL – Die Choreographie der Struktur (2018) Karl Otto Götz – und die Quadriga (2014) Quadriga – Goetz Greis Kreutz Schultze (2010)
Publikationen der Galerie
Zeitzeugen – 35 Jahre Galerie Maulberger (2020) INFORMEL – Die Choreographie der Struktur (2018) Karl Otto Götz – und die Quadriga (2014) Quadriga – Goetz Greis Kreutz Schultze (2010)
Ohne Titel 1965 Aquarell über Monotypie auf Papier 12,4 x 17,9 cm links unten signiert und datiert 65 Prov.: Atelier des Künstlers
Biographie
Albert Hennig wurde am 7. Dezember 1907 in Leipzig geboren.
Er lernte zunächst Betonbau. 1929 begann er autodidaktisch mit der Fotografie. Kurz vor Schließung des Bauhauses in Dessau wurde er dort aufgenommen. Seine Lehrer in Dessau waren u.a. Josef Albers, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Seine Fotoserie „Kinder der Straße“ im Auftrag der sozialdemokratischen Kinderfreundebewegung wurde 1933 bei der Besetzung des SPD-Büros in Leipzig von den Nationalsozialisten zerstört. Er selbst wurde ab 1934 bis 1945 als Bauarbeiter dienstverpflichtet. Nach dem Krieg wurde er Gründungsmitglied der Gruppe „Bildender Künstler“ im Kulturbund Zwickau. Von 1952 bis 1972 arbeitete er auf Grund von Differenzen mit der DDR-Kulturpolitik notgedrungen wieder als Betonbauer. Seine Arbeit führte er jedoch weiter und ab 1972 widmete er sich ausschließlich der Malerei.
Die Erbengemeinschaft übergab 2008 den umfangreichen wie außergewöhnlichen künstlerischen Nachlass von Albert Hennig an die Kunstsammlungen Zwickau. Ein Konvolut an Archivalien, Fotos, Katalogen, Zeitschriften, Einladungskarten, Rezensionen, Briefe, Dokumente, wie Vorlesungsmitschriften und Zeugnissen aus der Bauhaus-Zeit Hennigs von 1932 bis 1933 ergänzen die Arbeiten aus dem Nachlass.
Am 14. August 1998 verstarb Hennig in Zwickau.
Galerieausstellungen
Albert Hennig – Ein Künstler des Bauhauses – zum 100. Geburtstag (2007) Albert Hennig – Ein Künstler des Bauhauses (2004)
Ohne Titel 1959 Mischtechnik auf Papier auf Hartfaserplatte 35 x 49,4 cm links unten signiert und datiert 59
Biographie
1906
am 9. März in Münster/Westfalen geboren
1926-29
Studium am Bauhaus in Dessau bei Kandinsky, Klee und Feininger
1929-30
Freies Malstudium in Paris, Kontakt zu Kandinsky
1930
Porträtmaler in Essen, erste abstrakte Bilder
1933-45
bis Kriegsende über 500 Porträtaufträge
seit 1939
Kriegsdienst, Übersiedlung nach Gießen/Hessen
1944
Umzug nach Allendorf/Lumda
ab 1945
Entscheidung für abstrakte Malerei, Beginn einer langjährigen Freundschaft mit Walter Winkler
1947
Mitglied der „Neuen Gruppe“, Kontakt zu Ottomar Domnick
1948-63
Übersiedlung nach Stuttgart, Freundschaft mit dem Sammler und Maler (später Galeristen) Erich Schurr
um 1949
Mitglied der Künstlergemeinschaft „Die Schanze“
1950
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast, Ausstellung im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld zusammen mit Fred Thieler und Alexander Rath
Fatamorganafest I 1989 Aquarell auf Papier 49,8 x 62,5 cm links unten datiert 6-2 10.2.89 und betitelt mittig signiert und datiert 89
Biographie
1923
am 31. Dezember in Frankfurt am Main geboren
1940
Ausbildung als Fotograf
1940-44
Kriegsdienst, schwere Verwundung bei Stalingrad
1942-44
Lazarettaufenthalt, beginnt dort zu zeichnen
1946-48
spätexpressionistische Arbeiten unter dem Eindruck von Paula Modersohn-Becker, Max Beckmann, Emil Nolde, Franz Marc
ab 1948
abstrakte Bilder
ab 1949
Beschäftigung mit der Farbenlehre Goethes, Schopenhauer und Runge
1951
Stipendium in Paris, Begeisterung von Claude Monet, Seurat, Bonnard, im Louvre Studium der Alten Meister, Aufenthalt in der Provence, Entstehung des ersten Triptychons, Einzelausstellung in der Zimmergalerie Franck
1952
Aufenthalt in Südfrankreich, Quadriga-Ausstellung in der Zimmergalerie Franck mit Karl Otto Götz, Otto Greis und Bernard Schultze
1952-59
informelle Malweise
1957
„couleur vivante – lebendige farbe“ in Wiesbaden, „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Städtischen Kunsthalle Mannheim
1958
Zyklus „Hymne an das Licht“ entsteht
1960
Atelier in Paris, „Pariser Aquarelle“ entstehen, schrittweises Annähern an konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten der Farbe. Kreutz gibt die Ölmalerei auf.
1960-63
Holzschnitte
1961
Einzelausstellungen in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf und dem Städtischen Museum Wiesbaden
1962
Einzelausstellung (Holzschnitte) in der Kunsthalle Bremen
1964-66
Bleistift- und Farbkreidezeichnungen, Aquarelle. Manuskript der Farbenlehre, Erweiterung des klassischen Farbenkreises
1967
Stipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris. Konstruktive Streifenbilder
1968-72
Quadratebilder, didaktische Farbmontagen
1971-73
Gastdozent an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach / Main
1974
Umzug nach Seeshaupt am Starnberger See
1976
Umzug nach Antdorf
1981
Einzelausstellung in der Städtischen Kunsthalle Mannheim
1993-94
Zyklus über den „Sonnengesang“ des Franz von Assisi
2000
Einzelausstellung in den Städtischen Sammlungen in Schweinfurt / Galerie Maulberger München
2010
Ausstellung „Quadriga – Goetz Greis Kreutz Schultze“ in der Galerie Maulberger München
2016
Heinz Kreutz verstirbt am 17. Dezember in Penzberg
1953
Große Wanderausstellung (Düsseldorf, Frankfurt, Bremen und Lübeck), Gast-Dozentur an der Landeskunstschule in Hamburg
1954
Aufenthalt in Dänemark
1955
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Mitglied, erste „Scheiben-Aquarelle“, Einzelausstellung in Kleemann Galleries in New York, in der Kunsthalle Hamburg und Kestner-Gesellschaft Hannover, Lichtwark-Preis in Hamburg, documenta I in Kassel, Biennale Sao Paolo, Veröffentlichung „Vom Gestaltwert der Farbe“ von E.W. Nay
1956
Biennale in Venedig, Großer Preis des Landes Nordrhein-Westfalen
1957
Beteiligung an „German Art of Twentieth Century“ im Museum of Modern Art in New York
1959 documenta II
1960
Guggenheim-Preis, Einzelausstellung in der Kunsthalle in Basel
1962
Ausstellung in der M. Knoedler Gallery New York, Retrospektive im Folkwang-Museum in Essen
1963
„Augenbilder“
1964
documenta III
1966-67
Reise u.a. nach Marokko, Ausstellungen in der Akademie der Künste Berlin, Städtische Kunsthalle Mannheim und Museum des 20. Jhs. in Wien
Standing und Reputation der deutschen Nachkriegskunst haben im letzten Jahrzehnt eine deutliche Zunahme erfahren. Das hängt insbesondere mit dem weltweit erwachenden Interesse für das Phänomen „ZERO“ zusammen. Diese Avantgardebewegung mit dem Kern der Gruppe Heinz Mack (geb. 1931), Otto Piene (1928-2014) und Günther Uecker (geb. 1930) hatte sich von 1957-61 in Düsseldorf formiert und 1966 aufgelöst.
ZERO – AUFBRUCH IN EINE NEUE GEISTIGE ZONE
Dieser Kunstströmung geht es im Wesentlichen um die Ausdehnung des Aktionsradius von Kunst. Externe Faktoren, wie „Licht“ und „Feuer“ wurden als bildschaffende Kräfte eingesetzt. Vibration, Kinetik, Monochromie, die Vorstellung von Energiefeldern, die Einbeziehung des Raums und des Betrachters, sowie die Veränderung der Wahrnehmung beim Betrachter rückten in den Fokus dieser Kunst. Der Dialog von Künstler und Bild, welcher im Informel eine entscheidende Rolle spielte, wurde negiert. Die Bildoberfläche gerät optisch in Schwingung. Für diese, durch serielle Rhythmisierung sowie Rotoren, erreichte Wirkung prägte Heinz Mack den Begriff der „Dynamischen Struktur“. Der Künstler war nicht nur Akteur, sondern Impulsgeber und Beobachter der von ihm initiierten Vorgänge. Die Kunst von ZERO wollte grenzüberschreitend wirken. Heinz Mack hat mit diesem Fokus in seinem „Sahara-Projekt“ der „Land Art“ Boden bereitet. In „Wege zum Paradies“ schrieb Otto Piene im Jahr 1961: „… der Luftraum ist der einzige, der dem Menschen fast unbegrenzte Freiheit bietet (warum machen wir keine Kunst für den Luftraum, keine Ausstellung im Himmel?…“. Der damals geäußerte Traum, die Unendlichkeit des Himmels für Kunstprojekte zu erschließen, hat sich in der von Piene entwickelten „Sky Art“ im Laufe der 1960er Jahre bereits erfüllt.
NEUBEWERTUNG VON ZERO
Der Countdown der Neubewertung von ZERO auf dem Kunstmarkt fand im Februar 2010 in einer Auktion bei Sotheby`s in London statt, in der ZERO-Werke aus der Sammlung Lenz Schönberg Spitzenpreise erzielten. Erstmals nach der Kunst der Brücke, des Blauen Reiters und des Bauhauses konnte sich eine deutsche Kunstströmung international auf dem Kunstmarkt durchsetzen. Die ästhetisch-sinnliche Wucht, spirituelle Aura und philosophische Dichte der Werke von ZERO konnten 2013 in zahlreichen Ausstellungen erlebt werden, wie in der großen Schau „Dynamo“ im Grand Palais in Paris und „ZERO“ in der Pariser Passage de Retz, sowie in drei ZERO-Ausstellungen in Brasilien, u.a. im Museu Oscar Niemeyer in Curitiba. Ein weiteres Highlight in der Ausstellungsgeschichte der Künstlergruppe wird die Ausstellung „ZERO. Countdown to Tomorrow. 1950s-60s“ sein, die vom 10. Oktober 2014 bis 7. Januar 2015 im Guggenheim-Museum in New York, vom 21. März bis 8. Juni 2015 im Martin-Gropius-Bau in Berlin und anschließend im Stedelijk-Museum in Amsterdam zu sehen ist.
Inmitten der Freude über die hohe Wertschätzung, die die Künstlergruppe ZERO derzeit genießt, erreichte uns am 17. Juli die traurige Nachricht vom Tod Otto Pienes. Ein Tag nach der großen Eröffnung der Berliner Doppelausstellung „More Sky“ in der Neuen Nationalgalerie und der Deutschen Bank KunstHalle und zwei Tage vor dem geplanten „Sky Art Event“ mit „Luftplastiken“ auf dem Dach der Nationalgalerie starb der große Licht-Künstler. Wie kaum ein anderer Künstler erstrebte Otto Piene die „Reinheit des Lichts“, und damit die Entmaterialisierung der Kunst. Sein an die Wand projiziertes „Lichtballett“, in dem Licht durch sich drehende Lochrasterscheiben dringt, verzauberte bereits 1959 ihre Betrachter.
DIE PHILOSOPHIE VON ZERO ZIEHT IN DIE WELT
Für Piene war Kunstschaffen immer ein geistiger, philosophisch durchdrungener Akt. Dem entspricht seine Abneigung gegen jegliches „Gruppendenken“ oder gar einen „Stil“. Piene bezeichnete „ZERO“ in einem Interview von 1962 lediglich als einen „Standpunkt“: „… Denn ZERO war ja ein Zustand der Toleranz und damit eine Haltung, die keinem vorschrieb, was er zu tun oder zu lassen hat…“. Das wichtigste Kriterium der Zugehörigkeit bestand also im Konsens mit den Zielen von ZERO. Diese Haltung der ZERO-Künstler und ihr großes internationales Engagement ließ ein europaweites Netzwerk und intensive Kontakte zu Gruppen mit ähnlichen künstlerischen Intentionen entstehen.
Otto Piene besuchte von 1948 bis 1950 die Hochschule für Bildende Künste in München und anschließend die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf. 1957 absolvierte er sein Philosophiestudium an der Kölner Universität. Ab diesem Jahr entstanden Pienes erste Rasterbilder, bei denen sich die Farbe durch eine Rasterschablone gleichsam dem Bild einprägte. Den Künstler interessierte hierbei die unterschiedlichen Lichtwerte der Farbe und die entstehende Schwingung zwischen Bild und Betrachter.
Ab 1957 organisierten Mack und Piene die legendären neun „Abendausstellungen“ mit verschiedenen Themen wie das „Das rote Bild“ und „Vibration“, mit denen sich im April und Oktober des Jahres 1958 die Zeitschriften ZERO I und ZERO II begleitend auseinandersetzten. Die Zeitschrift ZERO III mit dem Titel „Dynamo, bei der neben Mack, Piene und Uecker, Enrico Castellani, Lucio Fontana, Yves Klein, Piero Manzoni, Jean Tinguely und viel mehr mitwirkten, erschien im Jahre 1961 zu einem ambitionierten Ausstellungsprojekt in der Galerie Schmela in Düsseldorf. In den 1960er und 1970er Jahren erhielt Piene einige Lehraufträge in den USA, u.a. am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Boston. 1974 übernahm er dort den Posten des Direktors des neu gegründeten „Center for Advanced Visual Studies“, den er zwanzig Jahre lang innehielt. Hier konnte er seine Vorstellungen der Durchdringung von Natur, Kunst und Technik unter Zuhilfenahme fortschrittlicher Technologien und Medien umsetzen. Gewissermaßen als eine Fortführung des „Lichtballetts“ ist der 700m lange „Olympia-Regenbogen“ zu sehen, der in der Schlussfeier der XX. Olympischen Spiele im Jahr 1972 den Himmel überspannte.
PIENES TRAUM VON EINER BESSEREN WELT
Otto Pienes Kunst berührt, erhebt und eröffnet neue Perspektiven, so wie Piene 1961 in „ZERO III“ formulierte: „… Ich habe etwas Reales anzubieten: statt Verengung des Blickes, statt Absorption das Schauen in ein Gebendes, Strömendes, Pulsierendes; nicht das Schrumpfen der Welt in den Zellen der menschlichen Vorstellung, sondern die allseitige Expansion, das Katapultieren des Schauenden in den Raum, wo freier Atem ist. In diesem Himmel ist das Paradies auf Erden.“
SONDERAUSSTELLUNG OTTO PIENE BEI MAULBERGER
In der „Hommage an Otto Piene“ erinnerte die Galerie Maulberger mit einer Einzelshow auf der 59. Kunst-Messe München an diesen großen ZERO-Künstler. Frühe Rauchzeichnungen, Feuerbilder und Feuergouachen aus dem Zeitraum der Zero-Zeit bis 2000 vermittelten einen Einblick in Pienes bildnerisches Schaffen.
1918-27
Nach der Schulzeit in München und Rumänien Ausbildung als Theatermaler
1933-37
als freischaffender Maler tätig
1937-39
Theatermaler am Bayerischen Staatstheater
1939-44
dienstverpflichtet in der Wehrmacht (Frankreich-, Russland- und Italienfeldzug)
1944-46
amerikanische Gefangenschaft, Deportation in die USA, Schott erhält im Gefangenenlager im Staat Utah ein eigenes Atelier, gibt Malunterricht und porträtiert Amerikaner und Mitgefangene
ab 1946 als freischaffender Maler tätig, Atelierwohnung in München, Teilnahme an Gruppenausstellungen der Galerie Stangl, Schott arbeitet auch als Rahmenmacher und Restaurator für die Galerie Stangl, Bekanntschaft zu Gabriele Münter und Fritz Winter, Schott gewinnt Wettbewerb des „Collecting Point“
1950
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast
1960
Mitbegründung des „Herbstsalons“ im Haus der Kunst in München, seither regelmäßige Teilnahme
1934-39
Studium an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin und an der Kunstakademie in Düsseldorf
1939-45
Militärdienst in Russland und Afrika
1945
Alle bis dahin entstandenen Arbeiten verbrennen beim Angriff auf Berlin
1945-47
Aufenthalt in Flensburg
1947-68
in Frankfurt a. M.
1951
Erste informelle Bilder
seit 1951
regelmäßige Aufenthalte in Paris
1952
„Quadriga“-Ausstellung in der Frankfurter Zimmergalerie Franck zusammen mit Götz, Greis und Kreutz
1954
reliefhafte Arbeiten durch collagierte Einklebungen und Einschmelzungen in die Malmaterie
1955
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast, Beteiligung an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris
1956
Relief-Bilder
1957
Erste „Tabuskris“ und freie Plastikbilder, Teilnahme an den Ausstellungen „couleur vivante – lebendige Farbe“ in Wiesbaden und „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Städtischen Kunsthalle Mannheim
1959
Teilnahme documenta II in Kassel und an der Ausstellung „Tachismus in Frankfurt – Quadriga 52“, Historisches Museum Frankfurt
1961
Erste „Migofs“ und Zungen-Collagen
1964
Teilnahme an der documenta III in Kassel mit einem „Migof“-Environment, erste Reise nach New York, Verwendung von Schaufensterpuppen für freistehende Farbplastiken
1964-65
Erste “Migof“-Bronzen
1967
Kunstpreis der Stadt Darmstadt
1968
Übersiedlung nach Köln
1969
Kunstpreis der Stadt Köln
1971
Studienreise durch die USA
1972
Mitglied der Akademie der Künste in Berlin
1980
Ausstellungen in der Hamburger Kunsthalle und in der Städtischen Kunsthalle in Düsseldorf
1980-81
Retrospektive in Düsseldorf, Berlin, Frankfurt und Saarbrücken, Titularprofessor des Landes Nordrhein-Westfalen
1984
Retrospektive in der Albertina Wien und in zahlreichen Museen der BRD, Großer Hessischer Kunstpreis
1932-35
Studium an der Kunstgewerbeschule in Dortmund
1935-39
Tätigkeit als freier Maler, Studienreisen nach Holland und Belgien
1937
Begegnung mit Christian Rohlfs
1939-45
dienstverpflichtet in Rüstungsbetrieb
1947
Mitbegründer der Künstlergruppe „junger westen“
1948
Kunstpreis „junger westen“ der Stadt Recklinghausen
1950
Sommeraufenthalt in Ascona am Lago Maggiore
1955
Teilnahme an der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast, Beteiligung an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris, Kunstpreis der Stadt Iserlohn
1956/57
Teilnahme an der Ausstellungstournee durch die USA als Mitglied, Conrad von Soest-Preis Münster, erste Tastobjekte entstehen
1958
Karl Ernst Osthaus-Preis, Hagen, Guggenheim Award (National Section) New York, Teilnahme an der XXIX. Biennale in Venedig
1958-60
Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg
1959
documenta II in Kassel, Preis des japanischen Kultusministers anlässlich der V. International Art Exhibition, Tokio, Einzelausstellung Samuel M. Kootz Gallery New York
1961
Einzelausstellung in der Kestner-Gesellschaft in Hannover
1962
„Premio Cardazzo“ anlässlich der XXXI. Biennale, Einzelausstellung im Städtischen Kunstmuseum Duisburg
1963
Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen, Reisen nach Süd- und Mittelamerika
1964
Teilnahme an der documenta III
1966-77
Professur an der Kunstakademie in Karlsruhe
1967-68
Gastprofessur School of Art in Minneapolis
seit 1968
Mitglied der Akademie der Künste in Berlin
seit 1971
Sommeraufenthalte auf Ibiza
1977
Teilnahme an der documenta VI
1978
August Macke-Preis der Stadt Meschede
seit 1982
zahlreiche Preise und Ehrungen
seit 1983
Großes Verdienstkreuz der BRD, Einzelausstellungen Kunsthalle Darmstadt, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, Westfälisches Landesmuseum Münster, Kunsthalle Bremen, u.a.
1988
Ausstellung Nationalgalerie Berlin
1992
Ausstellung im Saarlandmuseum Saarbrücken
1997
Retrospektive Galerie nationale du Jeu de Paume in Paris, Hamburger Kunsthalle und Haus der Kunst in München
1999
Schumacher stirbt am 4. Oktober in San José/ Ibiza.
Ohne Titel 1993 Tusche auf Papier 28,0 x 22,0 cm links unten signiert und datiert 93 Die Arbeit ist in das K.R.H. Sonderborg-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel 1993 Tusche auf Papier 26,8 x 16,7 cm links unten signiert und datiert 93 Die Arbeit ist in das K.R.H Sonderborg-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel 1985 Tusche auf Papier 73,0 x 101,6 cm rechts unten signiert und datiert 85
Ausst.: K.R.H. Sonderborg, Bilder von Zeit und Raum, Emil Schumacher Museum Hagen, 2019/20, Abb. S. 108 Die Arbeit ist im Archiv K.R.H. Sonderborg aufgenommen.
Ohne Titel 1982 Tusche auf Papier, 110,0 x 75,0 cm rechts unten signiert und datiert
Lit.: Kat. Ausst., Baden-Baden 1988, S.130, Nr. 91
Ausst.: K.R.H. Sonderborg, Arbeiten auf Papier, Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart, 1985/86, Abb. S. 130, Nr. 91; K.R.H. Sonderborg, Bilder von Zeit und Raum, Emil Schumacher Museum Hagen, 2019/20, Abb. S. 94 Die Arbeit ist im Archiv K.R.H. Sonderborg aufgenommen.
Ohne Titel 1984 Tusche auf Bütten 107,5 x 75,0 cm rechts unten signiert
Lit.: Kat. Ausst., Baden-Baden 1988, S. 154, Nr. 115 K.R.H. Sonderborg, Arbeiten auf Papier, Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart, 1985/86, Abb. S. 154, Nr. 115; K.R.H. Sonderborg, Bilder von Zeit und Raum, Emil Schumacher Museum Hagen, 2019/20, Abb. S. 98 Die Arbeit ist im Archiv K.R.H. Sonderborg aufgenommen.
Ohne Titel um 1986 Tusche auf Papier 102,0 x 73,2 cm rechts unten signiert
Ausst.: K.R.H. Sonderborg, Bilder von Zeit und Raum, Emil Schumacher Museum Hagen, 2019/20, Abb. S. 95 Die Arbeit ist im Archiv K.R.H. Sonderborg aufgenommen.
Biographie
1923
am 5. April in Sonderborg in Dänemark als Kurt Rudolf Hoffmann geboren
1938-40
kaufmännische Lehre in Hamburg
1941-42
Gestapo-Haft
1946-47
Privatschüler im Atelier von Ewald Becker-Carus in Hamburg
1947-49
erste gegenstandslose Monotypien, Kontakt zu Julius Bissier
1951
Aufenthalt auf Stromboli, Annahme des Künstlernamens K.R.H. Sonderborg
1953
Mitglied der Gruppe ZEN 49 und Teilnahme an deren Ausstellungen (1953, 1955, 1956/57), Studium im „Atelier 17“ bei Stanley William Hayter in Paris, seither regelmäßige Paris-Aufenthalte
1954
Ausstellungen „Duitse kunst na 1945“ im Stedelijk Museum Amsterdam und Eindhoven
1955
Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris, Stipendium des Lichtwark-Preises Hamburg, Karl Ernst Osthaus-Preis Hagen
1956
Ausstellung mit K.O. Götz in der Kestner-Gesellschaft in Hannover
1957
Vertrag mit René Drouin in Paris, Beteiligung an den Ausstellungen „couleur vivante“ in Wiesbaden und „aktiv-abstrakt“ in München
1959
Teilnahme an documenta II in Kassel
1960
Preis der Internationalen Biennale der Druckgraphik in Tokio
1960-61
Aufenthalt in New York, erste Einzelausstellung in der Galerie Lefébre
1963
Großer Internationaler Preis für Zeichnung der Biennale Sao Paulo
1964
Teilnahme an der documenta III und der Biennale in Venedig
1965-90
Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart
1969-70
Gastprofessur am Minneapolis College of Art and Design
1970
Teilnahme an der Biennale in Venedig
1972
Reise nach Lappland, Film über den Malstrom
1977
Einzelausstellung in der Galerie Beyeler in Basel, Aufenthalt in Cornwall
1983
Ernennung zum Mitglied der Akademie der Künste in Berlin
1984
Ernennung zum „Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ in Paris
1985
Stipendium der Villa Massimo in Rom
1986
Gastprofessur am School of Art Institute in Chicago
1987
Hans-Molfenter-Preis der Stadt Stuttgart, Einzelausstellung im Saarlandmuseum Saarbrücken
Ohne Titel CO XI/67 1967 Mischtechnik und Collage auf Karton 75,0 x 99,0 cm rückseitig signiert, datiert sowie bezeichnet
Ausst.: Galerie Hennemann, Thieler I, 1976; Fred Thieler, Museum Städtische Kunstsammlungen Bonn, 1968, Abb. Nr. 41; Fred Thieler - ein ermaltes Leben, Kunsthalle Schweinfurt, 2011, Abb. S. 42
Biographie
1916
am 17. März in Königsberg geboren
1937
Unterbrechung des Medizinstudiums aufgrund des Kriegsdienstes
1941
Studienverbot, Besuch einer privaten Malschule (gegr. von Hans Hofmann)
1946-50
Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste bei Karl Caspar
um 1947
Entstehung erster abstrakter Werke
1950
Gast der Ausstellung der Gruppe ZEN 49, Ausstellung (mit Wilhelm Imkamp) im Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld
1951
Aufenthalt in Holland, Übersiedlung nach Paris, Graphikstudium im „Atelier 17“ von Stanley William Hayter in Paris, Kontakt zu Hans Hartung, Pierre Soulages und Serge Poliakoff
1952
Aufnahme als Mitglied in die Gruppe ZEN 49 und Teilnahme an deren Ausstellungen (1953, 1955, 1956/57)
1953 Rückkehr nach München, Mitglied und Juror der „Neuen Gruppe“ in München
1954
Beginn der Spachtelbilder, Aufenthalt in Norwegen, Ausstellung in Oslo
1955
Teilnahme an der Ausstellung im Cercle Volney in Paris, Preisträger des Premio Lissone
1956
Förderpreis im Rahmen der Ausstellung „junger westen“
1957
Teilnahme an den Ausstellungen „couleur vivante“ und „Glanz und Gestalt“ in Wiesbaden
1958
Teilnahme an der XXIX. Biennale in Venedig
1959-81
Professur an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin
1959
documenta II in Kassel, V. Biennale in Sao Paulo und 5th International Art Exhibition in Tokio
1962 Einzelausstellung im Haus am Waldsee in Berlin (Leitung hat Manfred de la Motte inne)
1963
Einzelausstellungen im Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen und Städtischen Museum Wiesbaden
1964
documenta III
1965
Wandgestaltung in der Heilig-Geist-Kirche in Emmerich und Folgeaufträge deutschlandweit
1967
Beteiligung an der Weltausstellung in Montreal
1972-73
Gastprofessur am College of Art and Design in Minneapolis
1978
Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und der Neuen Darmstädter Secession
1981
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
1985
Erhalt des Lovis-Corinth-Preis, Berufung in die Ankaufskommission der Nationalgalerie Berlin
1986
Retrospektive an der Akademie der Künste in Berlin, Saarland Museum Saarbrücken
1988-89
Deckengemälde „Nachthimmel“ im Residenztheater München
1991-92 Stiftung des Fred Thieler-Preises für junge Künstler
Ohne Titel 1957 Mischtechnik auf Karton 49 x 71 cm mittig unten signiert und datiert 1957
Biographie
1886
am 14. Februar in Jettenburg/ Württemberg geboren
1902-08
Ausbildung zum Lehrer
1908-09
Tätigkeit als Lehrer und Studium an der Akademie der Künste in Suttgart
1909-14
Italienreise, Lehre bei dem Maler Charles Guérin, Studienaufenthalte in Paris
1914-18
Kriegsdienst
1919-29
als freier Maler in Großsachsenheim, Enztal bei Stuttgart
1930-35
Übersiedung nach Paris, Reisen nach Italien, Spanien, England, Holland und den USA, enger Kontakt zu „Cercle et Carré“ in Paris
1931
Heirat mit Woty, Kontakt mit Picasso, Braque, Miró und Giacometti
1932
Anschluß an die Künstlergruppe „Abstraction – Création“ um die Brüder Naum Gabo und Antoine Pevsner
1935
Rückkehr nach Deutschland, Potsdam, Berufs- und Ausstellungsverbot, dienstverpflichtet als technischer Zeichner, abstrakte Werke entstehen im Verborgenen
1942
Besuch in Paris
1945
Ein Großteil seines Werks wird bei einem Bombenangriff vernichtet
1946-59
Umzug nach Berlin-Charlottenburg
1947-48
Ausstellungen in der Galerie Rosen in Berlin
1948-49
Bekanntschaft mit Ottomar Domnick
1951
Mitglied der Gruppe ZEN 49 und Teilnahme an deren Ausstellungen (1951, 1953, 1955, 1956/57)
1951
Kunstpreis der Stadt Berlin, Mitglied der Berliner Kunstakademie, Ehrenmitglied der Akademie der Künste in Berlin
1951-52
Ausstellung in der Galerie Günther Franke, München
1952
Teilnahme an der Biennale in Venedig
1953
Premio Lissone
1954
Preis des „Verbandes der deutschen Kritiker e.V.“
1955
Beteiligung an der Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“ im Cercle Volney in Paris und an der Ausstellung „The new Decade“, Museum of Modern Art in New York
1955
documenta I
ab 1956
Ehrensenator der Hochschule für Bildende Künste in Berlin
1958
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
1959
documenta II, Übersiedlung nach München
1961
Einzelausstellung Städtisches Museum Duisburg
1962
Retrospektive in Berlin, Verleihung des Professorentitels, Ehrenmitglied der Akademie der Künste Berlin, Oberschwäbischer Kunstpreis
1968
Einzelausstellung in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und im Haus der Kunst in München
Thron der Fetische 1952 Mischtechnik (Linolschnitt, Druckerschwärze, Öl und Lack) auf Papier 43 x 61 cm links unten signiert, datiert und bezeichnet „Mischtechnik“ Prov.: Nachlass des Künstlers WVZ Mück I 1952/66
Dialog der Gefässe 1952 Mischtechnik über Monotypie auf Bütten 44,4 x 58,1 cm rechts unten signiert und datiert 52 am rechten unteren Blattrand betitelt
1911–12
Studium an der Kunstakademie in München bei Habermann
1913–14
Besuch der Akademie Ranson in Paris bei Félix Valloton
1914–18
Kriegsdienst als Batterieführer und Flieger
1918–21
Wohnsitz in Berlin
1921
Meisteratelier an der Dresdner Kunstakademie
1925–26
Erste Reise nach Italien, Ausstellungen der Berliner Secession
1927
Erste Einzelausstellung in der Münchner Galerie Goltz
1928
Interesse an abstrakter Kunst
1930–33
Aufenthalt in Paris, Begegnung mit Max Ernst und Pablo Picasso, Bekanntschaft mit Georges Braque und Fernand Léger
1932
Erste abstrakte Collagen
1933
Rückkehr nach Berlin
1934–39
Schließung einer Ausstellung in Stuttgart durch die Nationalsozialisten
1936
Berufsverbot, Emigration nach Griechenland
1937–39
Ausstellungen in Athen
1939–40
erzwungene Rückkehr nach Deutschland, Malverbot, Atelier in Pöcking bei München, heimliche Porträtaufträge
ab 1944
Freundschaft zu Ernst Wilhelm Nay
1946
Beginn seiner Publikationen über Kunst
1947–49
Teilnahme an der Augsburger Ausstellung „Extreme Malerei“, Ausstellungen in der Galerie Günther Franke in München
1950
Freundschaft zu Winter, Gilles und Vedova, Teilnahme am „1. Darmstädter Gespräch“, Umzug nach München
1951–52
Erste Ausstellung mit rein abstrakten Arbeiten im Kunstverein München
1953
Einzelausstellung Museum Witten, Kunsthalle Recklinghausen, Teilnahme an der Biennale in Sao Paulo
1955–57
Teilnahme an den Ausstellungen der Gruppe ZEN 49 als Gast
1958
Teilnahme an der Marzotto-Preis-Ausstellung in Mailand, München und Paris
1960–71
Umzug in das Schloß Birnfeld bei Stadtlauringen in Unterfranken
1961
Einzelausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München
1961–62
Ehrengast der Villa Massimo in Rom, erste Einzelausstellung in Paris, Ehrengast der Villa Romana in Florenz
1963
Seerosenpreis der Stadt München
1972
Beginn der Albenbilder
1976
dreimonatiger Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom
1976
Westpfahl stirbt am 23. Juli in Wetzhausen.
Nachlass
2007 erwarben wir den Nachlass des Künstlers Conrad Westpfahl (1891–1976). Noch heute sind wir durch einen freundschaftlichen und vertrauensvollen Austausch mit Melchior Happel, dem Neffen von Westpfahl, verbunden.
Als sich Anfang der 1930er Jahre Westpfahls Weg in die Abstraktion abzeichnete, hatte sich der Künstler bereits über 20 Jahre mit Kunst auseinandergesetzt. Conrad Westpfahl, ein gebürtiger Berliner und Sohn des Bildhauers Ernst Westpfahl, studierte von 1907-11 an der Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums bei Emil Orlik und ab 1911 an der Münchner Kunstakademie bei Hugo von Habermann. Bereits 1914 lockte Westpfahl die Kunststadt Paris, wo er bei Felix Valloton an der privaten Académie Ranson studierte und sich mit Renoir, Cezanne und den Impressionisten befasste. Nach dem 1. Weltkrieg, in dem er auch in der Fliegerstaffel eingesetzt war, widmete er sich weiter seinen Studien und bezog ab 1921 ein Meisteratelier bei dem Jugendstilkünstler Ludwig von Hofmann in Dresden. 1923 heiratete er die Schriftstellerin Ingeborg von Holtzendorff. 1926 kam ihr Sohn Helmut Konrad Joachim auf die Welt. Ein Jahr später fand in der Galerie Hans Goltz in München Westpfahls erste Einzelausstellung mit Arbeiten aus der Zeit an der Académie Ranson statt. In den 1920er Jahren hielt Westpfahl seine Familie mit Privatunterricht in Kunstgeschichte, dem Verkauf von Druckgraphik und vereinzelten Bildern, wie 1925 dem Leinwandbild „Aktäon“ durch die Berliner Sezession, über Wasser.
Eine intensive Zeit der Studienreisen nach Italien und der Provence, der künstlerischen Arbeit in französischen Künstlerkolonien und Aufenthalten in Paris schloss sich an. Der Austausch mit Künstlerkollegen und Kunstkritikern, wie mit dem einflussreichen Kunstkritiker Michel Seuphor und dem surrealistischen Maler Wolfgang Paalen in den Jahren 1926/27 sowie die Lektüre über abstrakte Kunst, wie die Schriften über Purismus von Amédée Ozenfants, prägten den stark reflektierenden Westpfahl.
Westpfahl gelang es gerade durch seine Affinität zum intellektuellen und philosophischen Austausch über Malerei, sich in dem aktiven Kunstgeschehen in Paris Anfang der 1930er Jahre zu verankern. Begegnungen mit bedeutenden Künstlerkollegen der modernen École de Paris, wie Robert und Sonja Delaunay, Picasso oder Max Ernst, ließen ihn in das Spannungsfeld unterschiedlichster abstrakter Strömungen eintauchen.
In den Jahren 1932/33 näherte sich Westpfahl der Abstraktion über die Technik der Collage. Seine „Papier collés“ sind teilweise auf Seiten der Kirchengeschichte von Claudius Fleury gefertigt und offenbaren deutlich den Einfluss von Max Ernst und Pablo Picasso.
Im April 1933 zog die Familie Westpfahl von Sevres bei Paris nach Berlin in die Lützowstraße. Eine durch die Nationalsozialisten geschlossene Westpfahl-Ausstellung in Stuttgart im Jahr 1934 alarmierte das Ehepaar und führte aus Angst vor Diffamierung und Verfolgung aufgrund der jüdischen Abstammung von Westpfahls Mutter noch im gleichen Jahr zur Emigration nach Griechenland: „1934 wurde in Stuttgart meine Ausstellung geschlossen. Das Phantom Hitler war in Aktion getreten. Ich spürte weniger das Wuchern dieser Magie als die Verunruhigung, die die Welt befiel“.
Bereits seit ihrer Studienzeit fühlte sich Inge Westpfahl der Kultur, der Geschichte und Sprache Griechenlands verbunden. Die radikale erzwungene Zäsur und das neue Umfeld führten bei Westpfahl zur Rückkehr in die Figuration, sicherlich auch angeregt durch die intensive Auseinandersetzung des Ehepaars mit der griechischen Mythologie. Enge Kontakte zur progressiven Literatenszene Athens und dadurch vereinzelt stattfindende Westpfahl-Ausstellungen gab es zwar, doch war das Gefühl der inneren Zerrissenheit der Westpfahls und die Sorge um die weitere politische Entwicklung in Deutschland, konkret um die in Berlin verbliebene Mutter, vorherrschend. Durch den griechischen Kulturminister Prevelakis erhielt Westpfahl die Möglichkeit, 1937 nach Paris zur Weltausstellung und der Präsentation von Picassos „Guernica“ zu reisen und den Kunsthändler Ambroise Vollard, Picasso und seinen Künstlerfreund Wolfgang Paalen wiederzusehen. Im März 1939 organisierte der Galerist Günther Franke eine Westpfahl-Ausstellung im Palais Almeida in der Brienner Straße 13 in München, noch bevor Westpfahl sich im selben Jahr – bedingt durch den Ausbruch des 2. Weltkriegs – gezwungen sah, nach Deutschland zurückzukehren. Die Galerie Franke sollte für Westpfahl so etwas wie eine geistige Heimat werden. Günther Franke gelang es in seiner Galerie und seinem Haus in Seeshaupt am Starnberger See, geheime Treffen von Künstlern zu organisieren, die in innerer Emigration an ihrem künstlerischen Schaffen festhielten. Westpfahl fand mit seiner Familie ganz in der Nähe, in Pöcking am Starnberger See, im Haus des Opernsängers Heinrich Knote Zuflucht, nachdem er im Juni 1940 mit Malverbot belegt worden war. Durch heimliche Porträtaufträge konnte Westpfahl mehr schlecht als recht den minimalen Verdienst seiner Familie sichern. 1941 erhielt Westpfahl dann die Nachricht vom mysteriösen Tod der Mutter, die, wie inzwischen belegt, von den Nationalsozialisten zunächst in eine psychiatrische Anstalt in Berlin verschleppt und dann nach Chelm nahe dem KZ in Lublin abtransportiert worden war und dort starb. Der nächste Schlag kam für Westpfahl 1944, als nahezu das gesamte Frühwerk durch einen Bombenangriff auf das Berliner Elternhaus zerstört wurde. Glücklicherweise waren die frühen Pariser Collagen davon nicht betroffen. Nach dem Krieg waren fünf dieser rund 40 Pariser Arbeiten 1947 in der legendären Ausstellung „Extreme Malerei“ im Augsburger Schaezler-Palais ausgestellt.
Conrad Westpfahl, der wie Theodor Werner durch seine Aufenthalte in Paris wertvolle Kenntnis abstrakter Strömungen vor dem Zweiten Weltkrieg erworben hatte, agierte als eine Art Bindeglied zu der jüngeren Künstlergeneration. So war Westpfahl neben Willi Baumeister, den Kunstwissenschaftlern Werner Haftmann, Will Grohmann, Franz Roh, Ludwig Grote oder Anthony Thwaites eine wichtige Figur im Netzwerk, das der sich neu konstituierenden Abstraktion nach ’45 den geistigen Boden bereitete. Seine Überzeugungen gab Westpfahl in einer regen Vortragstätigkeit ab 1946 in renommierten Institutionen in der Schweiz und Süddeutschland kund. Dazu kamen zahlreiche Ausstellungseröffnungen, beispielsweise von Ernst Wilhelm Nay in der Galerie Günther Franke in den Jahren 1946 und 1948. Westpfahl selbst hatte bei Franke in den Jahren 1947 und 1949 Einzelausstellungen. 1947 verfasste Westpfahl in der Zeitschrift „Aussaat“ einen Aufsatz „Zur abstrakten Kunst“, in dem er formulierte, „dass die ungegenständliche Malerei im Offenen und Vieldeutigen ihre Bestimmung habe“, in der Rückschau eine Aussage, die wie eine Art weise Vorahnung anmutet und bereits zwei Grundprinzipien informeller Kunst antizipiert. Für Franz Rohs Zeitschrift „Kunst“ schrieb Westpfahl 1948 und dann ab 1949 in dessen kunstwissenschaftlicher Monatsschrift „Die Kunst und das schöne Heim“ Beiträge (Abb. oben). Die 1948 publizierte Anthologie „Zur Deutung des Bildhaften“ mit 19 Aufsätzen und Vorträgen gibt uns Aufschluss über Westpfahls theoretische Auseinandersetzung und seine Aktivitäten dieser Zeit. Als Mitglied der 1946 in München gegründeten „Neuen Gruppe“ war Westpfahl mit seinen Arbeiten 1947 und 1948 im Lenbachhaus in München sowie 1950 im Haus der Kunst beteiligt. Die „Neue Gruppe“ verfolgte „das Anliegen, diejenigen Künstler zu vertreten, die sich im Besonderen um die modernen bildnerischen Probleme bemühen, ohne sich dabei doktrinär auf eine Kunstrichtung festzulegen.“ Der Fokus der Künstlergruppe kam Westpfahl sehr entgegen, reflektierte er selbst seinen künstlerischen Weg ab 1945 als intensive Suche nach einer „Geschlossenheit der Farbvorstellung“, ohne jedoch die dynamisch gefügte Bewegung auf der Bildfläche einzudämmen, wie Westpfahl sich Franz Roh 1949 anvertraute.
Im Ulmer Museum eröffnete Westpfahl 1950 seine eigene Einzelausstellung mit dem Vortrag „Zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit“, ein bezeichnender Titel, der seine eigene künstlerische Entwicklung dieser Zeit konstatiert und seine offene Haltung in stilistischer Hinsicht verrät. Der Themenkreis der griechischen Mythologie sollte für Westpfahl, wie beispielsweise auch für Hann Trier oder Ernst Wilhelm Nay, auch noch in der Zeit nach 1945, sowie teilweise in den späteren Jahrzehnten ein motivisches Anregungspotential bieten. Alfred Hentzen reflektierte 1950 in der Kestnergesellschaft Hannover die Faszination an der Mythologie in der Ausstellung „Antiker Mythos in der neuen Kunst“ im Sinne eines zu dieser Zeit gerne kolportierten Kontinuitätsgedankens. Westpfahl hatte sich auf die Einladung Hentzens hin an dieser Ausstellung beteiligt.
Nichtsdestotrotz setzte sich Westpfahl vehement für die Abstraktion ein, als er im legendären „Darmstädter Gespräch“ 1950 gemeinsam mit Willi Baumeister, Rolf Cavael, Johannes Itten, Alexander Mitscherlich und Theodor W. Adorno gegen die fanatischen Vertreter der Figuration, Hans Sedlmayr und Karl Hofer, Stellung bezog.
Westpfahls literarische wie pädagogische Begabung wäre für jede Kunstakademie dieser Zeit ein Glücksfall gewesen. Doch scheiterten seine Vorschläge zur Umstrukturierung in München, ebenso wie seine Bewerbungen für Professuren in Stuttgart und Nürnberg, an den stark rückwärtsgewandten Kräften, die einer grundlegenden Neukonzeption entgegenwirkten. Denn offensichtlich war, dass Westpfahl für eine offene und freiheitliche Haltung stand, die er als Voraussetzung für neue künstlerische Wege begriff.
Umso erstaunlicher ist es, dass Westpfahl – obwohl er 1949 in der Überblicksausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“ im Münchner Art Collecting Point vertreten und seit Ende der 1940er Jahre eng mit dem Gründungskern der Künstlergruppe ZEN 49 verwoben war – erst ab 1955 eingeladen wurde, an den Ausstellungen von ZEN 49 teilzunehmen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Westpfahl wohl zunächst versuchte, die Abstraktion geistig zu durchdringen und sich über die Ausdruckskraft der Sprache einer für die Zeit adäquaten unkonventionellen Bildgestaltung anzunähern. So gab es wohl von Seiten der Gründungsmitglieder Vorbehalte der Kunst Westpfahls gegenüber, obwohl Westpfahls Ausrichtung schon durch seine geistige Auseinandersetzung mit Abstraktion allgemein bekannt war. Eine gewisse Konkurrenzsituation der Galerien Franke und Stangl, einer der großen ZEN 49-Förderer der ersten Stunde, könnte in dem Kontext eine Rolle gespielt haben, denn auch Ernst Wilhelm Nay, ebenfalls ein „Franke-Künstler“, kam erst 1955 als Mitglied zu ZEN 49.
Bereits 1947 schrieb Westpfahl an Fietz: „… Ich muss Farbe gewinnen aus der Materie heraus, aus den plastischen Werten heraus, aus den Strukturen, die mich so eminent bewegen. …“ Als Westpfahl 1952 eine Einzelausstellung im Kunstpavillon des Alten Botanischen Gartens in München zeigte, hatten die abstrakten Bildelemente die figurative Auffassung bereits komplett verdrängt. Die Arbeit mit dem bezeichnenden Titel „Eigenleben der Mechanismen“ (Abb. oben) mag ein Beispiel dafür sein, wie Westpfahl sich bei aller zeittypischen Gestaltung neue Ausdrucksmöglichkeiten erschloss, bezüglich der Materialsensibilität, der Verschränkung von Fläche und Bildraum, der Reduktion der Farbigkeit zugunsten der bildnerischen Aussage sowie einer beeindruckenden Präsenz der Bildmittel.
Diese „neuen grammatikalischen Impulse“, die Westpfahl in der Kunst verfolgte, waren denn auch Gegenstand vieler Gespräche, in denen sich Westpfahl mit Ernst Wilhelm Nay in seinem Atelier, diversen Schwabinger Lokalen und auch öffentlichen Podiumsdiskussionen, wie 1952 bei Franke oder 1953 in der Kölner Galerie DER SPIEGEL, austauschte. Auf diese Art und Weise entstand zwischen den beiden Künstlerkollegen eine fruchtbare Freundschaft. Westpfahl liebte den lebendigen geistigen Austausch mit Künstlerkollegen, neben Nay u.a. mit Gerhard Fietz, Fritz Winter, Armin Sandig sowie den Kunsthistorikern Franz Roh und Werner Haftmann. Im Jahr 1952, als in der Frankfurter Zimmergalerie Franck die „Quadriga“ aus K.O. Götz, Bernard Schultze, Otto Greis und Heinz Kreutz zur Keimzelle des Informel avancierte, sprach Westpfahl im Münchner Amerikahaus in der Gründungsrede für den Verein „Freunde junger Kunst“ unter Franz Roh vom „Einbruch der Zeitdimension in die Bildgestaltung“ als einer wichtigen Zäsur in der Kunst und dies, lange bevor die Informellen den Wirkradius ihrer jungen Kunstrichtung abzuschätzen vermochten.
In der Galerie Ophir, in der 1953 die dritte Ausstellung der Gruppe ZEN 49 stattfand, organisierte Gustl Böhler gleich im Anschluss Einzelausstellungen von Kricke, Thieler und Westpfahl. In der Westpfahl-Ausstellung wurde der Kunsthistoriker Ludwig Grote, der sich neben Roh und Thwaites für ZEN 49 engagierte, fündig und wählte drei Leinwände für die II. Biennale des Museu de Arte Moderna in Sao Paolo aus, darunter das „Zeichenmonument“ von 1953 (Abb. unten). Mit dem Aufbau kraftvoller schwarzer Zeichen, die wie Bänder das Bildgefüge festigen, und den schlaglichtartig leuchtenden Farbakzenten, findet Westpfahl in dieser Zeit zu ähnlichen Bildlösungen wie Rolf Cavael, Heinrich Wildemann und Fritz Winter.
1954 sollte sich ein inniger Wunsch Westpfahls erfüllen, sein „glühendes Interesse an Pädagogischem“ umzusetzen. Westpfahl wurde als Gastdozent an die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg berufen. Gustav Hassenpflug, dem Direktor der Landeskunstschule in Hamburg, gelang es in einem ambitionierten Projekt, die abstrakte Lehre durch eine Folge von Dozenten in Hamburg zu etablieren. Eng getaktet unterrichteten dort in einem Zwei-Monate-Turnus neben Westpfahl auch Cavael, Fassbender, Fietz, Meistermann, Nay, Trier und Winter.
In ebendiesem Jahr kam Werner Haftmanns Standardwerk „Malerei im 20. Jahrhundert“ heraus, in dem Westpfahl besprochen wurde. Haftmann, mit dem Westpfahl eine enge Freundschaft und ein jahrzehntelanger Briefwechsel verband, hatte sich für Westpfahl eingesetzt, so dass 1954 in der Hamburger Kunsthalle eine Einzelausstellung Westpfahls stattfand. Anlässlich einer Kollektivausstellung der Galerie Franke im selben Jahr begegneten sich Westpfahl und Baumeister zu einem öffentlichen Gespräch, um über „Grundfragen“ zu diskutieren. 1955 erhielten die Mitglieder der Gruppe ZEN 49 eine Wahlkarte, mit dem Aufruf, sich für die vorgeschlagenen Gäste Götz, Kricke, Ritschl, Brust, Schultze, Ackermann und Westpfahl auszusprechen. Seit diesem Zeitpunkt war Westpfahl an den Ausstellungen der Künstlergruppe beteiligt, zuallererst in der stark wahrgenommenen ZEN 49-Ausstellung in der Städtischen Galerie im Münchner Lenbachhaus und den weiteren Stationen, der Hamburger Kunsthalle und dem Wallraff-Richartz-Museum in Köln. Es ist anzunehmen, dass Westpfahls Bild „Zeichenmonument“ (Abb. oben) in diesen Ausstellungen zu sehen war. 1956/57 ist Westpfahl mit 8 Arbeiten an der amerikanischen Ausstellungstournee der Gruppe ZEN 49 vertreten. Diese Wanderausstellung sollte die Krönung und gleichzeitig das Ende von ZEN 49 bedeuten.
In dieser Zeit führte Westpfahl neben Ausstellungsteilnahmen, wie im Haus der Kunst seine Vortragstätigkeit über „Abstraktion“ fort. Als Westpfahl 1958 die von Arnold Rüdlinger organisierte Ausstellung „Die neue amerikanische Malerei“ in der Kunsthalle Basel besuchte und dort Werke von Sam Francis, Franz Kline, Willem de Kooning, Robert Motherwell, Barnett Newman, Jackson Pollock und Clifford Still im Original sah, muss ihn diese Ausstellung nachdrücklich bewegt haben, denn in Westpfahls Malerei hinterließ sie eine deutliche Zäsur (Abb. unten). Sind in Westpfahls Arbeiten bis 1957 formal akzentuierte und kompositionell gebaute Bildgewebe charakteristisch, geriet der Bildraum ab 1958 stark in vibrierende Bewegung. Die Linie emanzipierte sich und avancierte, Strich, Farbe und Fläche zugleich, zum wichtigsten Ausdrucksträger seiner Malerei.
Sicherlich werden Westpfahls Erlebnisse als Flieger für ihn eine differenzierte Wahrnehmung angestoßen haben. Auch Sam Francis, Karl Otto Götz und Herbert Zangs verweisen auf die existentielle Erfahrung durch das Fliegen, das ihre Kunst maßgeblich beeinflusst hat. Das Erleben von Geschwindigkeit, der rasante Wechsel von oben und unten, sich schnell verändernde Ansichten und ein abstrahierender Blick der Welt gegenüber, prägten Westpfahls Auffassung des Bildraums: „Mein Vorhaben ist, ein Steigen und Stürzen von Räumen zu erzeugen, in denen ich mich aufgehoben fühle. Da dieses Steigen und Stürzen im Verfahren des Machens selbst zustandekommt und aus einer mir entgegenstehenden Fläche gebildet werden muss, kann es sich nicht als vorgestelltes Ziel vor mir befinden, sondern wird im Machen selbst erfunden, … „, schilderte Westpfahl 1963. Das ambivalente Erlebnis des Fliegens war für Westpfahl immer wieder ein Erfahrungsraum, aus dem er für seine Arbeiten schöpfte, wie in „Gewitter“ (1959) (Abb. unten), „Gewittriger Flug“ (1960) oder die Werkfolge „Nachtflug“ (1973), in der er offensichtlich den, dem Tod geweihten „Nachtflug“ des Postfliegers Fabien von Antoine de Saint-Exupéry (1931) verarbeitete.
Die Teilnahme an der Wander-Ausstellung des Premio Marzotto (Stationen in Italien, dem Haus der Kunst in München und dem Musée National d’Art Moderne in Paris) in den Jahren 1958/59 stellte für Westpfahl eine besondere Herausforderung dar, beabsichtigte er doch, seine soeben entwickelte informelle Bildsprache in großen Leinwandformaten zu realisieren.
In einer der wichtigsten kunstwissenschaftlichen Zeitschriften der 1950er Jahre, „Das Kunstwerk“, setzte sich Westpfahl mit dem provokanten Titel „Das Nicht-Informelle“ 1959 mit den Inhalten des Informels auseinander. Mit der Aussage „Das Geschehen bringt seinen eigenen Raum mit“, vollzog er die Kategorien des Malprozesses nach. Zudem legt diese These Zeugnis ab von dem Vertrauen des Künstlers in die ihm „zufall“-enden Impulse im Malprozess. Das Bildgeschehen involviert gleichermaßen die Reaktionen des Künstlers, die, der Eigenlogik der Bildmittel nachspürend, das Bild zur Entfaltung bringen.
Die starke poetische Ader, die seine Texte über Kunst kennzeichnet, prägte gleichermaßen sein künstlerisches Schaffen. Werner Haftmann erwähnte Westpfahls Malerei in ebendiesem Sinn in dem Ausstellungskatalog „German Art of the Twentieth Century“ 1957 als „meditative school of painting reflecting the poetic power of abstract forms“.
Durch die erhaltenen Stipendien der Villa Massimo in Rom 1961 und der Villa Romana in Florenz 1962 erlebte Westpfahl als Ehrengast eine äußerst intensive Zeit, in der er die Aussage seiner Bildgestaltung zu vertiefen vermochte. Zwischen diesen Aufenthalten konnte sich Westpfahl über eine überaus erfolgreiche Einzelausstellung in der Pariser Galerie Raymonde Cazenave freuen, in der „schon am ersten Tag 5 Arbeiten (vierfacher Preis wie in München) verkauft wurden“, wie Westpfahl Franz Roh wissen ließ. In den Jahren 1965/66 verraten Westpfahls Bezeichnungen der Arbeiten, wie „Mykonos“, „Delos“, „Samos“, „Rhodos“, „Zagora“, dass sich der Künstler in diesen Jahren vermehrt in Griechenland aufhielt. Das Jahr 1974 ist für Westpfahl durch den Tod seiner geliebten Frau Inge ein schmerzhafter Einschnitt, von dem sich der Künstler nicht mehr erholt. 1976 hielt sich Westpfahl erneut als Ehrengast in der Villa Massimo in Rom auf. Die im selben Jahr stattfindende Einzelausstellung in Stadtlauringen war für Westpfahl ein großer Erfolg. Darauf folgte die Retrospektive in der Bamberger Neuen Residenz, mit weiteren Stationen in Nürnberg, Kassel und München. Westpfahl hob die Ausstellung mit seiner Eröffnungsrede am 3. Juli 1976 aus der Taufe. Am 23. Juli, zwanzig Tage später, wählte Westpfahl für sich den Freitod.
Der literarische Nachlass von Conrad Westpfahl und seiner Frau Inge, der aus kunsttheoretischen und autobiographischen Texten Westpfahls sowie rund 1000 Briefen des Ehepaars besteht, hat im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg im letzten Jahr seine Bleibe gefunden. Dieser Fundus ist ein einzigartiges Zeugnis, das die Situation der Kunst von 1914 an bis in die 1970er Jahre aus der persönlichen Sicht Westpfahls dokumentiert und einen wertvollen Einblick in die Beziehungen der Künstler und Kunstkritiker ermöglicht. Den Kern des Dokumentenkonvoluts bildet der Briefwechsel von Westpfahl und seiner Ehefrau Inge.
2011 hat unsere ehemalige Mitarbeiterin Nadine Engel in einfühlsamer Recherchearbeit den schriftlichen Nachlass gesichtet und ihre Erkenntnisse in den Katalog „Conrad Westpfahl – Von Dingen des Geistes”, Galerie Maulberger 2012, fließen lassen.
In dem Ausstellungskatalog „Theodor Werner / Conrad Westpfahl – Rhythmisierung im Bildraum”, Galerie Maulberger 2015/2016, näherten wir uns erneut dem Werk von Westpfahl, in einer Gegenüberstellung der Biographien, Werke und Intentionen zweier Künstler der Zwischengeneration.
Sehr hilfreich ist für die Bearbeitung des Nachlasses das außerordentlich gründlich archivierte, nahezu vollständige Werkverzeichnis von Hans-Dieter Mück, das uns ermöglicht, die Entwicklung der Arbeiten von 1932 – 1976 nachzuvollziehen. Eine separate Bearbeitung der Albenbilder gibt einen wichtigen Einblick des Schaffens von Conrad Westpfahl im Kleinformat. Verwiesen sei auch auf die im Jahr 2000 im Wienand-Verlag erschienene ausführliche Bildmonographie von Ulrich Bischoff (Hrsg.), mit Texten von Sylvia Martin, Hans-Dieter Mück und Erich Schneider.
Das in dem Typoskript seiner Biographie selbst formulierte Thema „die Bewegung des Räumlichen“ durchzieht als Grundtenor Westpfahls subtile, vergeistigte gleichwohl kraftvolle Kunst. Sein zentraler Gedanke, die Bildfläche in ein lebendiges „Schwingungsfeld“ zu verwandeln, manifestiert sich nahezu in seinen gesamten Werkphasen. Doch die bildhafte Transformierung dieses Themas gelang Westpfahl erst durch die informelle Bildgestaltung ab 1958. Die enorme Präsenz seines Strichs, den Westpfahl als „Geäder, Struktur, Durchblutung der Fläche“ wahrnahm, durchpulst von da an unverkennbar seine Arbeiten. Äußerst wertvoll für die Kunstgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit sind Westpfahls kunsttheoretische Schriften, die zum Verständnis des Diskurses der Nachkriegszeit in Bezug auf die Abstraktion und Entstehung des Informel sowie seines eigenen Werks beitragen.
Ohne Titel 1949 Öl (Ritzzeichnung) auf Karton 39,8 x 33,3 cm links unten monogrammiert und datiert 49 rückseitig Nachlass-Stempel WVZ Kärcher 49/2/0668 Provenienz: Nachlass des Künstlers
1915
Übersiedlung mit der Mutter nach Schlesien, später nach Westfalen
1918
Wohnsitz in Tuttlingen
1920-23
Lehre als Modellschreiner und als Marqueteur
1924-27
Studium an der Kunstakademie in Stuttgart und an der Hochschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg
1927-34
Freier Maler in Berlin
1932
intensive Auseinandersetzung mit Drucktechniken, wie dem Holzschnitt
1938
Beschlagnahmung von Graphiken in der „Deutschen Graphikschau“ im Leipziger Kunstverein, Beginn einer engen Freundschaft mit Karl Schmidt-Rottluff
1939 bis 1945
Ausstellungsverbot
1944
Zerstörung des Ateliers und Verlust der meisten Arbeiten, Rückkehr nach Tuttlingen, erste abstrakte Arbeiten
1946-48
Beteiligung an der Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung in Dresden, Umzug nach Stuttgart
1947
Teilnahme an der Ausstellung „Neue deutsche Kunst“ in Mainz und „Moderne Kunst seit 1933“ in Bern
1948
Teilnahme an der Großen Kunstausstellung in München und Hamburg
1948
Rückkehr nach Tuttlingen
1949
Einzelausstellung von 90 Werken, vor allem von Graphik Wildemanns in der Kunsthalle in Regensburg, etliche Beteiligungen an Gruppenausstellungen, wie „Deutsche Malerei und Plastik der Gegenwart“ in Köln, „Kunstschaffen in Deutschland“ in München, „Kunst seit 1945“ in Darmstadt und „Kunst im Südwesten“ in Landau, Ausstellung in der Galerie Hanna Bekker vom Rath (mit Willi Baumeister)
1950
Teilnahme bei der Ausstellung der Gruppe ZEN 49 als Gast
1951
Einzelausstellung in der Universität Tübingen
1952
Einzelausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart
1955
Berufung an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart als Nachfolger Willi Baumeisters
1964
Wildemann stirbt am 25. Mai in Stuttgart.
Nachlass
2011 erwarben wir den Nachlass von Heinrich Wildemann (1904–64) von Herrn Prof. Klaus Kinter, dem wir an dieser Stelle ganz besonderen Dank sagen möchten. Jahrzehntelang setzte er sich für das Werk dieses Künstlers ein. Auch Frau Dr. Christiane Kärcher, die im Rahmen ihrer Promotion das Werkverzeichnis von Heinrich Wildemann erstellte, gilt unser Dank. Es freut uns, dass wir mit beiden in einem regen Austausch über Wildemann stehen.
Als Heinrich Wildemann 1955 die ehrenvolle Nachfolge von Willi Baumeister an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart antrat, war es ihm vor allem ein Anliegen, seinen Studenten die Abstraktion als Bildsprache näher zu bringen. Trotz der erfreulichen Entwicklungen und Ausstellungserfolge, die abstrakte und informelle Tendenzen bis 1955 verbuchen konnten, hatte die abstrakte Lehre an den deutschen Akademien so gut wie keinen Stellenwert.
Die Stuttgarter Kunstakademie avancierte durch Willi Baumeisters Omnipräsenz zu einer Hochburg der Abstraktion. Lediglich die Hamburger Kunsthochschule unter der Leitung von Gustav Hassenpflug war durch dessen Gastdozenten-Projekt in den Jahren 1954/55 äußerst aktiv in ihren Bestrebungen, die gegenstandslose Kunst zu emanzipieren. 1955 übernahm Fritz Winter, der sich ebenfalls auf den Lehrstuhl in Stuttgart beworben und eine Absage erhalten hatte, eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Kassel.
Mit für die damalige Zeit ungewöhnlich fortschrittlichen Methoden sensibilisierte Wildemann seine Studenten für abstrakte Gestaltungsmöglichkeiten. Als Vorlage und Anschauungsmaterial dienten Arbeiten, die sich durch ihre formale und koloristische Reduktion auszeichnen. Viele dieser „Muster“-Arbeiten tragen am Rand von Wildemann handschriftlich notierte Anmerkungen, die seine bildnerischen Fragestellungen offenlegen. Beispielsweise korrespondieren schwarz auf weiß collagierte Farbfelder mit weißen Flächen auf schwarzem Papier. Über die erzeugte Wirkung der zwei Nichtfarben diskutierte Wildemann mit seinen Studenten.
Im Alter von 51 Jahren erhielt Wildemann den Lehrstuhl in Stuttgart. Eine bewegte Biographie lag zu diesem Zeitpunkt hinter ihm. 1904 im polnischen Lodz als Wolhynien-Deutscher geboren, kam Wildemann 1915 gemeinsam mit seiner Mutter im Zuge einer zwangshaften Umsiedlung nach Ostpreußen. Beide wurden bei der Arbeit auf Bauernhöfen und in Fabriken eingesetzt. Wildemanns Vater starb, als er 5 Jahre alt war. Nach Kriegsende, im September 1918 kamen Mutter und Sohn in das schwäbische Tuttlingen. Nach seinem Schulabschluss absolvierte Wildemann zunächst eine Modellschreiner-Lehre und im Anschluss daran eine Marketerie-Ausbildung, in der er sich mit dem Entwurf von Holzintarsien beschäftigte. Als Wildemann in Zeiten der Inflation 1923 seine Lehrstelle verlor, intensivierte er seine „selbständigen zeichnerischen Studien“, wie Wildemann in seinem Lebenslauf notierte.
Christian Landenberger erkannte zufällig Wildemanns besonders ausgeprägte zeichnerische Begabung und legte ihm nahe, sich an der Stuttgarter Akademie zu bewerben. Landenberger, der dort ab 1905 eine Professur für „Technisches Malen“ innehatte, unterrichtete beispielsweise Oskar Schlemmer. Als sogenannter „Staatenloser“ begann Wildemann 1924 sein Studium an der Stuttgarter Kunstakademie. Ein Künstlerkollege von Wildemann, Erich Waldraff, berichtete von dessen entbehrungsreichem Leben: „Ein Zimmer konnte er sich nicht leisten, vielmehr musste er sich mit einer Schlafstelle begnügen und war bald ohne alle Mittel. Wovon er lebte, weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass er damals wie in den ganzen folgenden drei Jahrzehnten Zeiten des härtesten Hungers durchmachte.“
1927 setzte er sein Studium an der Kunsthochschule für freie und angewandte Kunst in Berlin fort: „Da mein Studium auch andere Möglichkeiten zu versuchen verlangt, um weiter fortzukommen, ging ich nach Berlin“, begründete Wildemann seinen Wechsel. Wiederum war Wildemann, so Waldraff, darauf angewiesen, sich durch gelegentliche Dienste für eine Gerberei seine Schlafstatt zu sichern.
Es ist anzunehmen, dass Wildemann als Student bei Robert Michel mit den avantgardistischen Kunstströmungen, wie dem Dadaismus, Konstruktivismus und Surrealismus in Berührung kam. Wildemann verfolgte jedoch seinen eigenen künstlerischen Weg. Neben dem Studium besuchte er Galerien und kopierte alte Meister, wie Rubens, Delacroix und Marées. Das für ihn wohl prägendste Erlebnis war die Ausstellung „25 Jahre Bestehen der Brücke“ im Berliner Kupferstichkabinett im Jahre 1930, in der Wildemann expressionistische Holzschnitte begeisterten: „Ich lernte durch eigene Erfahrung, angeregt durch Munch, bereichert dann durch Kirchner, und erwarb so ein neues Bewusstsein und Begriff des Holzschneidens.“ Die schweren Zeiten verschärften sich. Neben Krankheit der Mutter, Arbeitslosigkeit und Armut musste Wildemann die stetigen Ablehnungen seiner Anträge auf Einbürgerung verkraften. So konnte er mit keiner Unterstützung in Form von Stipendien von Seiten des Staats rechnen.
Konnte Wildemann noch 1936 in der „Deutschen Graphikschau“ erstmals sechs seiner Arbeiten ausstellen sowie einige seiner Graphiken an Sammler verkaufen, wurde er nach kurzer Internierung 1939 mit Ausstellungsverbot belegt. Mit Arbeiten für eine Werbe- und Dekorationsfirma verdiente er mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt. Zum Kriegsdienst wurde er wegen seiner Staatenlosigkeit nicht eingezogen. Wie Günther Franke in Süddeutschland einen lebensnotwendigen Rückzugsraum für verfolgte Künstler geschaffen hatte, machte es sich die Berliner Galeristin Hanna Becker vom Rath zur Mission, Ausstellungen verfemter Künstler zu organisieren. Neben Karl Schmidt-Rottluff, Ludwig Meidner, Ernst Wilhelm Nay, Erich Heckel, Willi Baumeister, Ida Kerkovius und Theodor Werner setzte sie sich auch für Heinrich Wildemann ein. Hanna Bekker vom Rath erinnerte sich 1964: „Herr Wildemann, der Jüngste aus dem Kreis … war mir ein hilfreicher Freund, der das nicht ungefährliche Unternehmen mit Mut, Vorsicht und Selbstlosigkeit unterstützte…“
Bei Hanna Bekker vom Rath lernte Wildemann Ende der 1930er Jahre auch Karl Schmidt-Rottluff kennen. Letzterer schätzte Wildemanns Arbeit sehr und erwarb einige Bilder von ihm. Der Briefkontakt zwischen Schmidt-Rottluff und Wildemann sollte bis in die Nachkriegszeit bestehen. Wie Schmidt-Rottluffs Wohnung und Atelier im Jahr 1943 Bomben zum Opfer fielen, wurde 1944 Wildemanns Atelierraum mit einem Großteil seiner Werke und damit seine Lebensgrundlage zerstört.
Trotz dieses Schicksalsschlags hatte Wildemann wie seine Künstlerkollegen nach der langen Zeit der Repressionen und der Diffamierung nach 1945 die neu gewonnene Freiheit erfasst, die trotz der widrigen Lebensumstände eine selbstbestimmte künstlerische Weiterentwicklung versprach. Nachdem er zunächst zu seiner Mutter in Tuttlingen heimkehrte, zog Wildemann 1946 nach Stuttgart um. Es war Hanna Bekker vom Rath, die Wildemann über den Kontakt durch Kerkovius an eine Stuttgarter Familie vermittelte, bei der er von 1946 bis 1948 wohnen konnte. Seit 1946 trieb Wildemann mit ganzer Kraft und ausschließlich sein abstraktes Schaffen voran. Der in Berlin lose geknüpfte Kontakt zu Baumeister intensivierte sich in Stuttgart. Auf dessen Anregung konnte sich Wildemann dem Kreis um den Neurologen und Psychiater Ottomar Domnick anschließen, einem der bedeutendsten Kunstsammler und Verfechter abstrakter Kunst nach dem zweiten Weltkrieg. In seinem Stuttgarter Haus bot Domnick der Abstraktion eine Plattform, wie in der Ausstellung „Die schöpferischen Kräfte in der abstrakten Malerei“. Die Ausstellungen wurden durch Vorträge begleitet, 1947 erschien eine Publikation mit Künstler-Statements und Beiträgen zur abstrakten Kunst. Die Teilnahme Wildemanns an der legendären Wander-Ausstellung „Extreme Malerei“ im Schaezler Palais in Augsburg 1947 im Rahmen der Ausstellungsreihe „Maler der Gegenwart“ war ein wichtiger Meilenstein in seiner Entwicklung.
Von 1946-48 erarbeitete sich Wildemann durch die Auseinandersetzung mit dem synthetischen Kubismus eines Picasso, Braque oder Gris erste abstrakte Bildlösungen (Abb. oben). 1947 war Wildemann in zahlreichen Nachkriegsausstellungen mit abstrakten Arbeiten vertreten, wie in „Moderne deutsche Kunst seit 1933“ in der Kunsthalle Bern, in „Neue deutsche Kunst“ in der Kunsthalle Mainz, in „Traum, Wirklichkeit und Abstraktion“ in der Neuen Universität Heidelberg sowie in „Abstraktion – Symbolbild“ in der Galerie Herrmann in Stuttgart, zusammen mit Bissier, Eichhorn, Fuchs, Götz und Imkamp. 1948 beteiligte sich Wildemann an der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München und Hamburg.
Auch 1949 war für Wildemann ein zumindest an Ausstellungen äußerst erfolgreiches Jahr. Geschichte schrieben beispielsweise „Kunstschaffen in Deutschland“ in München, „Kunst seit 1945“ in Darmstadt sowie „Deutsche Malerei und Plastik der Gegenwart“ in Köln. Die Titel der in Köln ausgestellten Arbeiten, „Aufsteigende weiße Form“ und „Vertikaler Aufbau“ von 1949 und „Linie und Fläche“ von 1948, lassen Wildemanns Interesse am Aufbau eines abstrakten Bildes, der Korrespondenz von Linie und Fläche und der Wirkung von Farben innerhalb einer Komposition, erkennen. Während in der Kölner Ausstellung in einem repräsentativen Überblick spätexpressionistische, neusachliche, surrealistische und abstrakte Strömungen aufeinandertrafen, war in der Münchner Ausstellung der Fokus weitgehend auf der Abstraktion. Wildemann war mit einem Ölbild in dieser von Stefan P. Munsing organisierten Ausstellung im Central Art Collecting Point positioniert, die im Vorfeld der Entstehung der Gruppe ZEN 49 eine entscheidende Rolle spielte.
1949 konnte sich Wildemann neben der Beteiligung an diesen breit angelegten Ausstellungen über etliche Einzelausstellungen freuen, in der Kunsthalle Regensburg, im Studio für Neue Kunst in Wuppertal, das als Übergangslösung bis zur Einweihung der Kunsthalle diente, und im Amerikahaus in Stuttgart. In der Eröffnungsausstellung der Staatsgalerie Stuttgart war Wildemann mit 3 Arbeiten präsent. Hanna Bekker vom Rath organisierte im gleichen Jahr in ihrem Frankfurter Kunstkabinett eine Präsentation von Werken von „Willi Baumeister, Victor Fontaine und Heinrich Wildemann“.
Am letzten Tag der Ausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“, dem 19. Juli 1949, wurde zur Eröffnung der Rolf Cavael-Ausstellung in der Münchner Galerie Stangl die „Gruppe der Gegenstandslosen“ gegründet, die einige Monate später in „ZEN 49“ umbenannt wurde. Die Gründungsmitglieder waren Willi Baumeister, Rolf Cavael, Gerhard Fietz, Rupprecht Geiger, Willy Hempel, Brigitte Meier-Denninghoff und Fritz Winter. Zur ersten Ausstellung im April 1950 wurde Heinrich Wildemann neben Max Ackermann, Fathwinter, Wilhelm Imkamp und Fred Thieler als Gast eingeladen. Die Auswahl der Exponate traf der Beraterstab und kunsthistorisches Rückgrat von ZEN 49, Franz Roh, Ludwig Grote und der rührige Anthony Thwaites, der die Gründung der Künstlergruppe maßgeblich vorangetrieben hat. Ein Katalog mit einem Essay von Roh begleitete die Ausstellung, die nach München in den Städten Fulda, Wiesbaden, Mannheim, Freiburg, Konstanz, Eutin, Hamburg, Lübeck und Düsseldorf zu sehen war.
Einer der leidenschaftlichsten Kämpfer und Förderer der Avantgarde in der Nachkriegszeit war der Versicherungskaufmann Klaus Franck, mit dessen Galerie durch die Eröffnung der „Quadriga-Ausstellung“ am 11. Dezember 1952 die Geburtsstunde des Informel in Deutschland verbunden wird. Er hatte es sich in seiner privaten Zweizimmer-Wohnung zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, „was im In- und Auslande vorgeht, auch wenn es nur ein Durchgang zu neuerlichem Wandel ist. Und gerade das bevorzuge ich, weil darin die Dynamik der modernen Kunst erkennbar wird.“
Bereits ein halbes Jahr nach der Eröffnung seiner Galerie am 24. Juni 1949 wurde Franck auf Wildemann aufmerksam und organisierte im Januar / Februar 1950 eine Doppelausstellung von Heinrich Wildemann und der Bildhauerin Doris Rücker. Ein erhaltener Briefwechsel veranschaulicht die Beziehung zwischen Galerist und Künstler. Nach seiner Ausstellung schrieb Wildemann am 16.2.1950 folgende Zeilen an Franck: „In allem, was ich zu hören bekam, habe ich den Eindruck, dass durch Ihre intensive Arbeit eine starke Auseinandersetzung sowie Beschäftigung mit meinem Schaffen bei dieser Ausstellung vor sich gegangen ist. Diese beiden Faktoren finde ich das wichtigste und wesentlichste einer Ausstellung und das Wissen befriedigt mich, dass dies bei dieser Ausstellung der Fall ist. Wenn auch manche dagegen sprechen, die Zeit und die Arbeit kristallisiert und stabilisiert das Geschaffene und zwingt zu einer Überzeugung. An einem Augenblickserfolg liegt mir nichts.“ Wildemann sprach in diesem Brief die negativen Rezensionen bezüglich seiner Ausstellung an, in denen sich teilweise absolutes Unverständnis äußerte, wie in der Abendpost zu lesen: „So ein schöner Mann malt abstrakte Bilder.“
Am 26.11.1950 teilte Franck Wildemann mit: „… und so will ich dann morgen an verschiedene Galerien schreiben betr. Ihrer Ausstellung. Ich möchte Ihnen ganz einfach vorschlagen, wenn Sie Ihre Arbeiten zusammen haben, die Sendung abzuschicken, und ich werde sehen, was sich machen lässt. Sie dürfen überzeugt sein, dass ich mein Möglichstes tun werde. Ich denke, dass sich irgendwas arrangieren lässt.“ Bereits im Februar / März 1951 sowie 1959 fanden bei Franck weitere Wildemann-Ausstellungen statt.
Bei einigen Werken Wildemanns aus den Jahren 1948 bis 1953 ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Gestaltungsprinzipien und der Gedanken- und Formenwelt Paul Klees und Joan Miros evident, wie auch in der „Komposition“ von 1951 (Abb. oben). Damit verfolgte Wildemann, wie die meisten seiner Künstlerkollegen der Gruppe ZEN 49, das Ziel, basierend auf der Tradition des „Blauen Reiters“, eine eigenständige abstrakte Formensprache zu entwickeln. Außer der Lektüre von Ausstellungskatalogen, die ihm beispielsweise Franck und der Sammler Schurr zuschickten, war Wildemann in dem abgelegenen Tuttlingen gänzlich auf sich gestellt. Denn zu den meisten Ausstellungen oder gar nach Paris konnte Wildemann aus finanziellen Gründen und aus einer gewissen Scheu öffentlichen Veranstaltungen gegenüber nicht reisen, um sich nach der langen Zeit der „inneren Emigration“ über die Entwicklung der internationalen Avantgarde zu informieren.
In den Jahren 1949-51 entstehen Ritzzeichnungen (Abb. unten) von Wildemann, die eine erstaunliche Modernität ausstrahlen. Wie in Mauern oder graue Sandböden geritzt, scheinen die archaisch anmutenden, geritzten Linien ihre Bahnen zu ziehen, sich zu geometrischen, elementaren Grundformen zu fügen oder sich von der Fläche in Spiralen in eine Bildräumlichkeit zu schwingen. Das Abtragen von Bildmaterial durch Ritzungen oder Kammzüge lässt tiefere Bildschichten zu Tage treten. Eine Technik, die bereits Paul Klee für sich entdeckte. Auch Fritz Winter experimentierte Anfang der 1930er Jahre und Anfang der 1950er Jahre mit dieser Art von Kipp-Effekt von Figur und Grund.
In einer Ausstellung der Künstlergruppe „Roter Reiter“, die sich 1945 in München gegründet hat, waren in Traunstein im Jahre 1950 neben zwei Ölbildern von Wildemann zwei dieser Ritz-Arbeiten zu sehen. In einer Rezension wurden Wildemanns Ritzungen als ausgesprochene „Infantilität“ bezeichnet, eine „Blasphemie jeder Kunst, die unserer bescheidenen Meinung nach auch nicht einmal als Kostprobe in eine ernsthafte Ausstellung gehört.“ So war Deutschland zu dieser Zeit hinsichtlich der Kunst-Beurteilung durchaus gespalten, wenn man sich das „Darmstädter Gespräch“ um 1950 vor Augen führt.
Verkäufe von Wildemann-Bildern waren dementsprechend selten. Otto Stangl ließ Wildemann in Briefen von 1949 und 1951 wissen, dass er zu seinem Bedauern noch nie einen Verkauf für Wildemann realisieren konnte. Auch Hanna Bekker vom Rath, die unumstößlich an Wildemanns Kunst glaubte und ihn wiederholt nach Frankfurt einlud, hatte am 14.9.1949 nichts Erfreulicheres zu berichten: „Die Verkaufschancen sind leider immer noch sehr ungünstig und eine wirkliche Besserung ist nicht abzusehen.“ Erich Schurr, bei dessen Familie Wildemann von 1946-48 untergebracht war, schrieb Wildemann am 29.4.1950: „Es tut mir sehr leid, dass Sie so schwer kämpfen müssen. Das Interesse an Kunst wird immer geringer und ich kann mir denken, dass Tuttlingen überhaupt nicht versteht, was Sie wollen…“
In der Ausstellung „Farbige Graphik“, die von der Kestnergesellschaft Hannover 1951 initiiert wurde und die zeitgleich an 20 deutschen Ausstellungsorten zu sehen war, war Wildemann mit fünf Farbholzschnitten vertreten. Da Wildemann zumeist nur 2 bis 3 Handabzüge seiner Graphiken herstellte, waren die Aufwandkosten sehr hoch. Wildemann stellte 1953 in einem Schreiben fest: „Die Einnahmen aus dem Verkauf bei Ausstellungen übersteigen kaum die Ausstellungskosten.“ Dennoch war Wildemann in der vom Carnegie-Institute in Pittsburgh, USA, veranstalteten Ausstellung „Farbige Graphik“ mit Farbholzschnitten beteiligt. In der gleichnamigen Ausstellung im Museum Folkwang in Essen 1953 wurden 8 Farbholzschnitte von Wildemann präsentiert. Die Arbeit „Dreiklang“ wurde zwar verkauft, wie ein Brief vom 3. Juli 1954 (Abb. unten) bestätigt, doch meldete sich der Käufer nach Ende der Ausstellung nicht, so dass die Rechnung für die Graphik über 50 DM vom Museum selbst übernommen wurde.
In einer Ausstellung von Baden-Württembergischen Künstlern in Akron, Ohio, USA, der Eröffnungsausstellung der Wuppertaler Kunsthalle und der Ausstellung „Kunst des Deutschen Ostens aus sieben Jahrhunderten“ im Haus des Deutschen Kunsthandwerks in Frankfurt / Main konnte Wildemann 1953 seine Ölbilder zeigen. In diesem Jahr entstanden Bilder, in denen Bandelemente das kompositionelle Bildgerüst tragen. Zu vergleichbaren Bildlösungen gelangten auch Rolf Cavael und Fritz Winter mit seinen „Bandzeichenbildern“ in dieser Zeit.
Die 1955 angetretene Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart forderte Wildemann stark, so dass er sich in den Jahren 55/56 nur eingeschränkt auf die Entwicklung seines eigenen Schaffens konzentrieren konnte. Während der Aufbau der Bilder 1953 nur durch starke schwarze Balkenelemente gefestigt ist, verzichtete Wildemann ab 1957 auf derartige Stabilisierung. Die Farbe allein ist nun wie in „Komposition – Grau zwischen Schwarz und Weiß“ von 1958 (Abb. unten) Ausdrucksträger der großformatigen Arbeiten. Subtil abgestimmt ist die Größe der Flächen aufeinander, die miteinander korrespondieren. Zwischen den Farbflächen scheinen minimale „Fugen“ auf, die den Blick auf dunkle untere Schichten freigeben. Die Farbe ist keineswegs homogen. In zahlreichen Abtönungen und Nuancen treten die Farben in Erscheinung und lassen ein lebendiges Farbrelief entstehen.
In Amerika hat sich zur gleichen Zeit, Mitte der 1950er Jahre, die Farbfeldmalerei entwickelt. Doch während im Color Field Painting in der Regel die Farbe, wie bei Helen Frankenthaler oder Morris Louis, direkt auf die ungrundierte Leinwand geschüttet oder gesprüht wurde, trug Wildemann die Farbe mit Werkzeugen, wie dem Spachtel, auf. Wichtig war Wildemann, den Moment des Auftragens und der Bearbeitung des Materials für den Betrachter sichtbar werden zu lassen.
Ab 1958 ging Wildemann auf seinem Weg einen weiteren konsequenten Schritt und wagte erneut einen Wandel in seiner Malerei. Die von da an entstandenen Werke lassen jeglichen formalen Bezug los und stützen sich rein auf die Präsenz der Farbmaterie. Die Farbe befreit sich völlig und scheint eigengesetzlich und selbstbestimmt ihre „Farb-Form“ auszuprägen. Wildemann ist in dieser Hinsicht dem materiebetonten, pastosen Informel zuzurechnen, das Karl Fred Dahmen, Gerhard Hoehme und Emil Schumacher zeitgleich verfolgten.
Mit dieser späten und letzten Werkphase Wildemanns beschäftigte sich Anja Rumig in ihrer Magisterarbeit der Universität Stuttgart 1992. Christiane Kärcher bearbeitete das gesamte Werk Wildemanns in ihrer Dissertation an der Universität Graz 2012. Mit Wildemanns Lehrzeit an der Stuttgarter Akademie beschäftigte sich Kärcher 2019 in ihrem Artikel „die absolute malerei ist nicht lehrbar“ im Jahrbuch des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Berlin.
2009 fand in unseren Münchner Räumen die Ausstellung „Heinrich Wildemann – Ein Bildkosmos“ statt, in der wir die Werkphasen von 1946 bis 1952 im Fokus hatten. In der retrospektiv angelegten Ausstellung „Heinrich Wildemann – Nur die Lebensintensität hat Formintensität“ von 2015 erweiterten wir den Blick auf seine gesamten Werkphasen von 1946 bis 1963. Zu beiden Ausstellungen erschienen Kataloge, in denen wir die Bedeutung des Werkes dieses noch zu entdeckenden Künstlers beleuchteten.
Vertikal Grün 1953 Öl auf Papier auf Leinwand aufgezogen 70 x 50 cm rechts unten signiert und datiert 53 WVZ Lohberg Nr. 1576, KM 446
Biographie
1905
am 22. September in Altenbögge/Westfalen geboren
1924-25
Arbeit als Elektroschlosser, erste Zeichnungen und Malereien, Hollandreise, Begeisterung für Paula Modersohn-Becker und Van Gogh
1927 Zulassung für ein Studium am Bauhaus in Dessau, bei Josef Albers, Wassily Kandinsky und Paul Klee
1928
Durch Empfehlungen von Kandinsky und Klee Stipendium der Stadt Dessau
ab 1929
Besuche bei Ernst Ludwig Kirchner in Davos
1930
Mitarbeit im Atelier von Naum Gabo in Berlin, Einzelausstellung in der Galerie Buchholz in Berlin
1931
Lehrauftrag an der Pädagogischen Akademie in Halle
1932
Reise nach Italien
1933
Infolge der Machtergreifung der Nationalsozialisten Verlust des Lehrauftrags
1935
Umzug nach Diessen am Ammersee mit der Kunsthistorikerin Margarete Schreiber-Rüffer, seiner späteren Frau
1936
Malverbot, Beschlagnahmung seiner Arbeiten aus öffentlichen Sammlungen
1938
Beteiligung an der Ausstellung „20th Century German Art“ in den New Burlington Galleries in London
1939
Kriegsdienst, Feldzug gegen Polen und Russland
1944
Nach schwerer Verwundung entstehen „Triebkräfte der Erde“.
1947
Winter ist in der Ausstellung „Extreme Malerei“ im Augsburger Schaezler-Palais vertreten
1949
Entlassung aus russischer Gefangenschaft, Gründungsmitglied der Gruppe ZEN 49 und Teilnahme an allen Ausstellungen, Teilnahme beim 2. „Salon des réalités des nouvelles“ im Cercle Volney in Paris
1950
Begegnung mit Hans Hartung und Pierre Soulages in Paris, II. Biennale-Preis in Venedig, 2. Ströher-Preis in Darmstadt, Auftakt einer umfangreichen Reihe von nationalen und internationalen Auszeichnungen und Museumsausstellungen
1951
3. Domnick-Preis
1955-70
Professur an der Staatlichen Hochschule für Bildende Kunst in Kassel
1955
Teilnahme an der Documenta I in Kassel
1956
Teilnahme an der Biennale in Venedig
1957
Graphik-Preis in Tokio u.a.
1958
Preis der Weltausstellung in Brüssel, Premio Marzotto Mailand, u.a.
1959
schwerwiegende Erkrankung infolge seiner Kriegsverletzung
1976
Winter stirbt am 1. Oktober in Herrsching am Ammersee.
Ohne Titel / Skizze einer Expansion Kreide auf Papier 43,3 x 30,5 cm links unten signiert rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel 1980 Graphit auf Papier 69,5 x 53,0 cm links unten signiert und datiert 80 rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen. Ausstellung: Herbert Zangs – Vom Sinn des Chaos, Galerie Maulberger, München, Dezember 2016 / Januar 2017, Abb. S. 154
Ohne Titel / Blasenbild 1981 Dispersionsfarbe auf Papier 61,2 x 43,2 cm unten mittig signiert und datiert 81 rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen. Ausstellung: Herbert Zangs – Vom Sinn des Chaos, Galerie Maulberger, München, Dezember 2016 / Januar 2017, Abb. S. 168
Ohne Titel um 1982 Lochstreifenkopie weiß übermalt 29,7 x 21,0 cm rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel / Blasenbild um 1980 Dispersionsfarbe auf Fotokopie 29,7 x 21,0 cm rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel / Pinselabwicklung um 1980 Dispersionsfarbe auf Papier 75 x 57 cm rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel / Pinselabwicklung um 1980 Dispersionsfarbe auf rotem Papier 86,2 x 61,0 cm rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Ohne Titel / Pinselabwicklung um 1980 Dispersionsfarbe auf roséfarbigem Papier 21,0 x 29,7 cm rückseitig Nachlass-Stempel Provenienz: Nachlass des Künstlers Die Arbeit ist in das Herbert Zangs Nachlass-Archiv Maulberger aufgenommen.
Nachlass
2011 erwarben wir von Doris Kemmler, der Schwester des Künstlers, sowie ihrer Tochter Ruth Storm den Nachlass von Herbert Zangs. Es freut uns, eine innige Verbindung zu Ruth Storm und ihrer Familie über die Jahre zu halten. Leider verstarb Doris Kemmler im Alter von 92 Jahren im Oktober des Jahres 2019.
Ohne Zweifel ist das Werk von Zangs (1924–2003) eine der bedeutenden künstlerischen Äußerungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Die kunsthistorische Einordnung des Werks ist indessen, obwohl die historische Distanz durchaus gegeben wäre, noch lange nicht geklärt.
Zangs ist in der Literatur und kollektiven Erinnerung als „Enfant terrible“ bekannt, als einer, der seine Zeitgenossen zu provozieren imstande war. Zangs war derb ebenso wie sensibel, schillernd, hochgradig komplex, stets jedoch authentisch. Seinen künstlerischen Weg verfolgte er unerbittlich mit Wucht und Kompromisslosigkeit. Radikal sind seine originären Bildfindungen, die eine traditionelle Auffassung des Bildbegriffs immer wieder aus den Angeln heben. Zangs Kunstauffassung sticht in Vakuen der Kunstgeschichte, lässt uns in der Rezeption sichtlich an Grenzen stoßen. Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Zangs tauchen Fragen auf, die sich unweigerlich in die Wahrnehmung der Kunst von Zangs drängen und die Rezeption seines Werks verzögern. Längst überfällig ist es, Bezugssysteme und Begrifflichkeiten in Bezug auf Zangs neu zu überdenken. Zu einem expliziten Verständnis ist es notwendig, sein Werk im Kontext internationaler Kunstströmungen der Zeit zu sehen. Erst durch diese Querbezüge kann es gelingen, Zangs Kunst nachhaltig in der Kunstgeschichte zu verorten.
Zangs frühe Entwicklung Anfang der 1950er Jahre ist nicht lückenlos durch Quellen (Ausstellungen, Fotos, Publikationen) hieb- und stichfest zu rekonstruieren. Er trieb seine Kunst teilweise im Verborgenen, ungesehen von Zeitgenossen und dem Kunstmarkt, voran. Da die schlechte Quellenlage und die fehlende fotografische Dokumentation der Werkgenese im ersten Nachkriegsjahrzehnt nichts Ungewöhnliches ist, ist eine einfühlsame kunsthistorische Kontextualisierung und die Rekonstruktion des Œuvres basierend auf der innewohnenden Eigenlogik des Werks unverzichtbar.
Die Auffassung, dass nur Werke aus der Zeit existieren, die belegt und dokumentiert sind, greift freilich zu kurz. Arbeiten, wie beispielsweise die Guss-Reliefs von 1954/55, entstehen nicht in luftleerem Raum. Im Februar 1951 hatte Zangs in Düsseldorf Dina Vierny, Galeristin, junge Muse und Modell von Aristide Maillol, kennengelernt. Auf ihre Einladung hin fuhren Zangs und sein Freund Manfred von Diepold nach Paris. Durch Vierny war Zangs unmittelbar in der etablierten Kunstszene angelangt. Die von Michel Tapié realisierte Ausstellung „Véhémences confrontées“ in der Galerie Nina Dausset schlug Wellen. Die dort gezeigten Bilder von Bryen, Pollock, Wols, de Kooning, Hartung, Mathieu und Riopelle lösten bei Zangs und bei den ebenfalls 1951 in die Kunstmetropole gereisten deutschen Künstlern, wie z. B. Götz, Hoehme, Schultze, Sonderborg oder Thieler ein künstlerisches Beben aus, waren sie doch über die Jahre des Nationalsozialismus weitgehend von der Entwicklung der Avantgarde abgeschnitten. Schultze erinnerte sich: „Das Tor war aufgestoßen. 1951 der erste Besuch in Paris, … das große Fieber fiel uns an. Jeder von uns malte nun auf seine Weise sich diesen Schock gleichsam von der Seele…“
Die Ende 1951 stattfindende Ausstellung mit Tapiés Titel „Signifiants de l’Informel“ im Studio Facchetti sollte der neuen Avantgarde ihren Namen geben. 1952 befand sich Zangs erneut in Paris und sah sich dort eine Einzelausstellung Pollocks an. Ganz im Spirit von Pollocks Malweise entstanden Arbeiten (Abb. links unten), die dessen Dripping-Elemente mit verschiedenen Raumebenen hinterfangen. Den räumlichen Eindruck erreichte Zangs durch Partien, die er unterschiedlich stark mit Farbe besprühte, teilweise kombiniert mit aufgelegten Schablonen.
In der vom Museum of Modern Art in New York vermittelten Ausstellung „Zwölf amerikanische Maler und Bildhauer“ in Düsseldorf fand Zangs 1953 erneut die Möglichkeit, sich mit der amerikanischen Avantgarde auseinanderzusetzen.
Anfang der 1950er Jahre trieb die Künstler die Suche nach einer individuellen Technik und geeigneten Bildmitteln an, durch die eine radikal neue Bildauffassung zu verwirklichen war. In K.O. Götz letztem Ölbild vom 7.9.52 (Abb. links oben) ist noch der starke Eindruck von De Koonings „Black/White-Abstractions“ offensichtlich. Im gleichen Jahr fand er dann zu seiner Rakeltechnik, mit der ihm die „Auflösung des klassischen Formprinzips“ gelang. K.O. Götz strebte in seiner „Flachmalerei“ die Verschleifung und Verzahnung der Strukturen statt kompositionell isolierter Formen an.
Das Angebot der Zierleistenfabrik Heinrich Schlüters, Zangs die technischen Einrichtungen der Firma und ihre Räumlichkeit zur Verfügung zu stellen, kam zum rechten Zeitpunkt. Die Guss-Reliefs von Zangs (Abb. rechts oben) atmen diese Beschäftigung mit „informellen“ Inhalten, sie sondieren die Möglichkeiten des Materials und bringen dieses zur Entfaltung. „Warmen, weißen Knochenleim, der wie Lava aussah“, entdeckte Zangs als perfektes Ausgangsmaterial, um seine von Pollock inspirierte Malerei in einen anderen Zustand zu überführen.
Johann Schlüter, Inhaber der Zierleistenfabrik, bestätigte 1974 in einem Schreiben, dass Zangs in den Jahren 1952-55 in seiner Firma Arbeiten geschaffen hat, die er mit weißer Farbe bearbeitete. Erwähnt ist dort, dass er auch die heiße weiße Grundmasse der Fabrikation für die Bilder und Objekte einsetzte und zum Beispiel mit Pressluft auseinandertrieb. Beschädigte und abgebrochene Hartfaserplatten, die Schlüter nicht mehr verwerten konnte, dienten Zangs als Bildträger. Dieses krude Material bot im Malprozess den für Zangs notwendigen Widerstand. Und tatsächlich wie Lava scheint sich die Farbmaterie aus eigener Kraft und Gesetzmäßigkeit ihren Weg zu bahnen, teils fragil anmutend, teils malträtiert, konvulsiv und Widerständen trotzend. Zangs Gussmasse, die er als Farbstoff verwendete, drängt in den Raum, erhält eine greifbare Präsenz, lässt Bild zum Objekt werden.
Farbe als reine Materialsubstanz zu begreifen, dem bereiteten Dubuffet und Fautrier den Weg. Ihre Vorgehensweise lernte Zangs Anfang der 1950er Jahre in Paris kennen. Zwischen diesen Vorläufern und den Entwicklungen einer materiebetonten pastosen Auffassung im Informel, wie sie Karl Fred Dahmen, Gerhard Hoehme, Bernard Schultze, Emil Schumacher und Heinrich Wildemann ab 1957 auf ganz eigene Weise verfolgten, nimmt der „Werkkörper“ der Guss-Bilder von Herbert Zangs eine bedeutende solitäre Stellung in der Kunst dieser Zeit ein.
Sein „Weiß in Bewegung setzen“ beschrieb Zangs als das eigentliche Thema seiner Guss-Bilder. Gerade durch die Reduktion des Kolorits auf die Monochromie „weiße Farbe auf weißem Grund“, gelang es Zangs, dem Werden von Form und Fließen des Materials starken Ausdruck zu verleihen. Diese in der Substanz wirkenden Kräfte zu locken, die Masse nach Zangs Worten „zu bombardieren“, gelang ihm durch den Einfall, Pressluft-Gebläse der Firma Schlüter im Werkprozess zum Einsatz zu bringen. Durch den Akt, die Dynamik des Bildes derart zu beeinflussen, weitete er den Radius des informellen Gestus. Der Entstehungsprozess wird zwar vom Künstler in eine bestimmte Richtung angestoßen und gelenkt, gleichwohl kommt durch den Einsatz der Pressluft eine Eigendynamik der Farbmasse zum Tragen. Ein radikaler Schritt, der den Künstler als Individuum und Autor des Kunstwerks in den Hintergrund rückt.
Zangs wird als ein notorischer, materialaffiner Sammler beschrieben, und zwar bereits seit seiner Zeit an der Akademie der Bildenden Künste in Düsseldorf, an der er sich gleich ein paar Wochen nach Kriegsende als Student einschrieb. Nicht zu vergessen die Möglichkeiten, die ihm durch den Zugang ab 1948 in der DEMAG Baggerfabrik in Benrath und ab 1952 in der Zierleistenfabrik Schlüter in Krefeld offen standen. Zangs war von Abfallmaterialien, Wellpappe und Schablonen umgeben, ein Umfeld, das einen derart hochgradig aufnahmefähigen und neugierigen Künstler außerordentlich inspirieren musste. Klaus Wolbert stellte in dem umfassenden, 2008 von Peter Weibel herausgegebenen Ausstellungskatalog „Materialbild. Italia 1950-1965“ den Zusammenhang des gezielten künstlerischen Zugriffs auf Produkte aus der merkantilen Fabrikation und der Entwicklung des Materialbilds Ende der 1950er Jahre fest. Diese Rahmenbedingungen haben sicherlich Zangs Werkentwicklung beschleunigt. Sie kamen dem jungen Künstler, der nach eigenen Worten „im Arbeitsrausch… Tag und Nacht am liebsten durchgemacht hätte“, entgegen. Siegfried Cremer, von 1955-64 Restaurator des Kaiser Wilhelm Museums in Krefeld, einer der bedeutendsten Zangs-Sammler, Kenner der Materialkunst, des Fluxus und des Nouveau Réalisme, beschrieb Zangs, wie er ihn 1955 erlebte: „Das war ein Typ Künstler, den ich bis dahin noch nicht kennengelernt hatte. Er war wie ein wildes Tier. Ich meine, mit einem wahnsinnigen animalischen Anteil. Überhaupt nicht vom Intellekt bestimmt – er war nicht dumm, natürlich nicht – aber alles kam aus dem Bauch… mit einer solchen Sicherheit, wie ich es nie wieder erlebt habe, bei keinem einzigen Menschen!“
Als alles in Schutt und Asche lag, fühlte sich Zangs den Dingen verbunden, die in ihren Verletzungen, bis hin zur Unkenntlichkeit, Geschichten erzählen: „… alle Dinge sind doch alles Vorexistenzen, die auf erfinderische Neuexistenz warten. Ich stellte von der Natur oder auch durch den Menschen zerstörte Fundstücke aus. Zum Beispiel: Ein durchschossener Militärhelm, ’ne zerstörte Bienenwabe, ein durch das Rheinwasser verrostetes Metallsieb, …“, so Zangs.
Er experimentierte und hantierte mit Materialien aller Art. Es faszinierte ihn, aus ihrem ursprünglichen funktionalen Kontext gerissene Dinge und Abfallmaterialien zu kombinieren und in seine Vorstellung von Bild zu implantieren.
Experimentelle Methoden und eine oft spielerische Grundhaltung ließen gerade in den 1950er/60er Jahren neue Ansätze im Sinne eines erweiterten Bildbegriffs entstehen. Diese Jahre waren für Künstler der Avantgarde eine große „Spielwiese“ und zugleich Forschungsfeld, sich der eigenen Möglichkeiten gewahr zu werden. Die Findung neuer Werkstoffe, Techniken oder Hilfsmittel verlief häufig zufällig. So erhielt Hubert Berke von der Familie Neuerburg, für die er Zigarettenreklame entwarf, unterschiedlichste Werkzeuge aus den USA, wie beispielsweise eine Spritzpistole, die ihm eine erstaunliche Dreidimensionalität ermöglichte. Rupprecht Geiger erhielt von Hilla von Rebay Leuchtfarben aus den USA oder K.O. Götz entdeckte beim Spiel mit seinem Sohn den Rakel. In dem Zusammenhang ist auch Carl Buchheister zu nennen, der ebenso durch seinen neugierigen, spielerischen Zugang Grenzen der Kunstformen überschritt. Nicht selten wird fehlende Ernsthaftigkeit attestiert, wenn sich Phänomene schlecht einordnen lassen, wie auch im Falle der Readymades von Duchamp. Duchamp äußerte sich zu dieser Zeit der mangelnden Wertschätzung folgendermaßen: „Ich hatte nicht vor, einen Scherz zu machen, und so habe ich lange Zeit niemand diese Arbeiten gezeigt.“ Erst in den 1960er Jahren, also 50 Jahre später, wurden Duchamps Readymades als eine der bedeutendsten Manifestationen hinsichtlich der Erweiterung des Bildbegriffs anerkannt.
Heinz Kreutz beschrieb im 2015 initiierten digitalen „Café Deutschland“ des Städel Museums in Frankfurt das Klima der 1950er Jahre: „Es war nicht so, dass wir gesagt hätten: ‚Passt mal auf, jetzt ist der Krieg vorbei und wir wollen etwas ganz Neues machen.‘ Natürlich war es ein Neuanfang, aber dessen war man sich anfangs gar nicht bewusst. Wir waren ja alle ganz junge Kerle, das darf man nicht vergessen. Man hat uns anfangs auch gar nicht richtig ernst genommen. …Wir wollten nichts anderes machen als unsere Kunst und wir waren von unserer Berufung überzeugt. Weiter haben wir gar nicht gedacht. Im Gegenteil, wir wunderten uns, wer sich für den Quatsch, den wir da machten, überhaupt interessieren sollte…“
Dieses Statement von Kreutz beschreibt die Orientierungslosigkeit, die sehr viele Künstler nach 1945 ergriffen hatte. Inwieweit die geschaffenen Bilder Experiment oder Kunst waren, und welche Stellung sie in der Kunstgeschichte der Zukunft einnehmen würden, war für die meisten Künstler der frühen 1950er Jahre zweitrangig. Im Zentrum stand für die jungen Maler das künstlerische Tun, die Entwicklung der eigenen künstlerischen Möglichkeiten in Freiheit und Selbstbestimmung voranzutreiben.
An Wertschätzung oder gar Vermarktung dieser avantgardistischen Bilder und Objekte war in den 1950er Jahren nicht zu denken, wie Siegfried Cremer bestätigte. Zangs konnte sich, wie viele seiner Künstlerkollegen, mit Auftragsarbeiten und vor allem mit dem Verkauf gegenständlicher Bilder, die als anerkannt galten und mit denen er bereits Preise gewonnen hatte, seinen Lebensunterhalt und den notwendigen Freiraum für sein abstraktes Schaffen sichern.
Auf die Frage, weshalb Zangs und Beuys in den 1950er Jahren auf so wenig Resonanz stießen, war Cremers Erklärung: „Die Materialkunst spielte in den 1950er Jahren, soweit ich weiß, noch gar keine Rolle. Nein, das waren in Frankreich Fautrier und Dubuffet und bei uns Beuys und Zangs. Ich glaube ja, dass die beiden ziemlich gleichzeitig diese Objekte gemacht haben, wobei der Zangs sicherlich am Anfang der Bedeutendere war … Nein, die [Materialbilder] wollte niemand sehen. Ich glaube, dass es bei Beuys ähnlich war. Sie kennen ja die Dinge, die er als Auftragsarbeiten gemacht hat. Da erkannte man den Beuys auch nicht, und was er an Materialbildern gemacht hat, das wollte auch niemand sehen.“
Diesen gefundenen Gegenständen, „Objet trouvés“, gab Zangs durch die „Verweißung“ seinen eigenen Anstrich – ein Akt des sich Vergewisserns, des sich zu eigen Machens. Das Weiß der Guss-Bilder und Objekte ist kein „Persil-Weiß“, es ist nicht strahlend, Verheißung versprechend, sondern im Gegenteil bisweilen fahl und morbide anmutend. Die strukturellen Eigenschaften, die das Fundstück „mitbringt“, werden nicht übertüncht, sondern durch das „Verweißen“ herausgearbeitet. Zangs in der Rückschau: “ … der damalige Zusammenbruch aller Werte verlangte nach Erneuerung … Ja, sogar unsere Sprache war verbraucht. Ich versuchte [es] anfangs durch rüdes Zusammenbringen von Gegenständen, die nichts miteinander zu tun hatten… Mit der weißen Farbe, die aus Sparsamkeit dünn und wenig war, überpinselte ich das Getane und alles wurde zum Erlebnis, wuchs zusammen. Plötzlich war das Unterbewusste lesbar.“
Der Impuls, zu verweißen, wurzelt laut Zangs in seiner eigenen Geschichte, als er in Skandinavien Anfang der 1940er Jahre bei der Luftwaffe diente und verschneite skandinavische Landschaften sah, die in ihm irritierende Seherfahrungen auslösten. In der Literaturgeschichte ist der Schnee als existentielle Grenzerfahrung eine sinnige Metapher. Angefangen bei Descartes über A.G. Pym von E.A. Poe bis zu Hans Castorp im Zauberberg von Thomas Mann kommt Urs Grünbein in seinem Erzählgedicht „Vom Schnee oder Descartes in Deutschland“ von 2003 zu der These „Schnee abstrahiert“. Auch Uecker beschrieb in seinem „Vortrag über Weiß“ von 1961 die Faszination des Schnees. Der Schnee, alias „Weiß“, verschleiert, vereinheitlicht, schärft die Wahrnehmung, macht Kontraste sichtbar und ist Substrat für Spuren. Zangs: „Meine Verweißungen sind ein Weg der Abstrahierung und Reduzierung der Dinge. Ein Versuch der Vergeistigung in der Fantasie. Weiß ist die totale Anwesenheit von Licht in Abwesenheit von Schwarz und Dunkelheit, jedoch: Weiß deckt zu, wie Schnee eine Landschaft, es ist total dicht. Weiß ist eine Art von sich fortzugehen, um zu sich zurückzufinden.“
Die gespaltene Rezeption bei Zangs entzündet sich vor allem an der Tatsache, dass Zangs nachweislich später entstandene verweißte Arbeiten rückdatiert hat. Durch diesen Verstoß gegen das kunsthistorische Einordnungs-System lassen sich Arbeiten, wie die Plus-Minus-Bilder, Knüpfungen, Faltungen, die teilweise auf 1953-55 datiert sind, bis zum jetzigen Stand der Forschung nicht konkret einem bestimmten Jahr zuordnen. Es ist davon auszugehen, dass Zangs Datierung zuweilen eher aus der Erinnerung und nach seinem Bauchgefühl, als entsprechend des korrekten Entstehungsjahrs erfolgte. Die Rückdatierung, die unterschiedlich motiviert sein kann, öffnet uns – so abwegig dies auf den ersten Blick scheint – einen der Zugänge zu dem nonkonformistisch veranlagten Zangs und geben Aufschluss über seine Haltung zum Bild und seinen Kunstbegriff. Sicherlich lässt sich an den Geltungsdrang eines Künstlers denken, der sich ein Ersterfindungsrecht zu erschleichen sucht. Viel wahrscheinlicher ist im Falle Zangs, dass er sich dem Wertesystem der Kunstgeschichte bewusst oder unbewusst verweigerte. Zangs verstand die vor der Ausstellung in Münster entstandene Aufregung bezüglich der Datierung nicht. Für ihn war es entscheidend, Urheber dieser Bilder zu sein, sich in der Sicherheit wiegend, Arbeiten ähnlicher Art ja in der Zeit geschaffen zu haben. Durch die auf einmal erfolgte Wertschätzung seiner „Verweißungen“ durch die Münsteraner Ausstellung, griff er die von ihm entwickelte Werkphase nochmals auf, und datierte, ganz in seinen „Ursprungs“-Kontext abgetaucht, einige Arbeiten auf die 1950er Jahre.
In den 1960er/70er Jahren wurde es im ZERO-Umkreis nicht selten so gehandhabt, dass die Datierung aus zwei Jahreszahlen besteht, wie z.B. 61/65 bei Megerts Arbeit „Spiegelscherben“. Mitunter besagen die 2 Jahreszahlen eine erneute Aufnahme bzw. Überarbeitung des Bildes. Oftmals jedoch bezieht sich die erste Jahreszahl auf den Zeitpunkt einer Idee oder Findung einer Arbeitsweise, die zweite Jahreszahl auf das Jahr der tatsächlichen Entstehung. Hier lässt sich ein Wandel, vom Fokus auf den Entstehungsprozess eines Bildes hin zu einer konzeptuellen Auffassung, konstatieren. Auf die zweite Jahreszahl – wie im Falle Zangs – zu verzichten, musste die Skeptiker natürlich auf den Plan rufen.
Glücklicherweise haben sich etliche Zeitzeugen zu Zangs geäußert, wie der bedeutende Architekt Werner Ruhnau, der den 1959 vollendeten Gelsenkirchener Theaterbau – heute ein Meilenstein der Architekturgeschichte – als Gesamtkunstwerk plante. Die weißen Reliefarbeiten, die Ruhnau seiner Aussage nach in den Jahren um 1955-56 in Zangs Ateliers in Düsseldorf und etwas später in Krefeld sah, hatten ihn stark beeindruckt. In Zangs Arbeiten sah Ruhnau in ihrer „Vielfalt von Einfällen“ einen seiner eigenen zentralen Inhalte realisiert, die „Überwindung des Formalästhetischen zugunsten des konkret und sinnenhaft Erfahrbaren“. Offensichtlich hatten das Werk von Zangs sowie die Diskussionen mit ihm Ruhnau überzeugt. Zangs erinnerte sich an diese Zeit: „Mit Kricke und dem Architekten Werner Ruhnau war ich des öfteren bei Thwaites, wo wir heiße Debatten über die Avantgarde führten“. Nach Ruhnaus Einschätzung würde Zangs „die große Dimension erreichen“, so dass er ihn mit einem großen Format bei seinem Projekt einplante. Doch „als es darum ging, in Gelsenkirchen 1957 mit der Arbeit zu beginnen“, war Zangs, „sicherlich mit einer schönen Frau nach Paris verschwunden“, so Ruhnaus Erklärung. Ruhnau weiter: „Etwas später, 1957 lernte ich Yves Klein in Paris kennen. Hier fand ich die volle Bestätigung dessen, was ich in Deutschland bereits erfahren hatte.“ In Klein hatte Ruhnau einen Künstler gefunden, der mit den monumentalen blauen Schwammreliefs, der einzigen Auftragsarbeit Kleins, seine Ideen kongenial umsetzen konnte. Die Tatsache, dass sich Zangs einen so ehrenvollen, bedeutenden Auftrag entgehen ließ, unterstreicht die Beschreibung der Zeitgenossen von Zangs als einer sprunghaften, in Bezug auf Absprachen wenig verlässlichen Künstlerpersönlichkeit. Zangs glaubte in der Rückschau, er sei zwar bezüglich des Auftrags in Gelsenkirchen im Gespräch gewesen, aber durch neue Kontakte Ruhnaus zu Yves Klein „fallen gelassen“ worden.
Anlässlich der Münsteraner Zangs-Ausstellung bezeugte Ruhnau die Existenz der verweißten Objekte in dem Zeitraum, in dem er mit Zangs wegen des Gelsenkirchener Projekts in Kontakt war: „Zangs collagierte verblichene Gegenstände und überstrich sie in einer teils mehr, teils weniger oberflächlich erscheinenden Weise mit weißer Farbe, und zwar immer so, dass diese Farbgebung mit der vorgegebenen Farbe des Materials auf eine unscheinbare, aber sehr sensible Weise zusammenwirkte. Die Objekte gewannen dadurch eine lebendige und künstlerische Wirkung. Diese wurde unterstützt durch ihre unglaubliche Einfachheit, durch das Erstaunen, dass man bei solcher Verweißung durch aufgeklebte Sachen erfährt. Sie werden dadurch anders, sie verlieren ihre Natur und rufen ein Nachdenken an den verblichenen, früher einmal lebendig gewesenen Gegenstand wach. Andere Arbeiten ließen eine serielle Ordnung und unterschwellige Strenge erkennen.“ Auch Norbert Kricke, der mit Zangs sein Atelier getauscht hatte, fielen serielle Arbeiten auf: „Ich weiß, dass Herbert Zangs bereits in der Mitte der fünfziger Jahre sich mit weißen Arbeiten beschäftigte. Ich habe viele große Bilder in seinem Atelier gesehen, auch serielle, rhythmische Arbeiten waren dabei. Zangs hat gearbeitet, sich aber nie um das Publizieren seiner Dinge gekümmert. Niemand ist für ihn eingetreten…“ Die Beschreibung der Werke durch Kricke und Ruhnau deuten darauf hin, dass es sich um die unterschiedlichsten Ausprägungen weißer Arbeiten in Zangs Atelier um Mitte der 1950er Jahre handelte.
In einem Brief vom 11.5.1956 (Abb. unten) berichtete Zangs Will Grohmann von seiner Begegnung mit Christian Zervos, dem Herausgeber der französischen Kunstzeitschrift „Cahiers d’Art“ und des Picasso-Werkverzeichnisses: „Sehr geehrter Herr Professor Grohmann, auf Veranlassung von Herrn und Frau Christian Zervos, Paris, übersende ich Ihnen in der Anlage eine Anzahl von Photos nach meinen Arbeiten. Seit dem Winter lebe ich in Paris und lernte so Herrn und Frau Zervos im Verlag Cahiers d’art kennen. Herr und Frau Zervos sind interessiert an meinen Arbeiten und bitten mich, Ihnen dies mitzuteilen.
Bevor Herr Zervos in Paris für mich etwas unternehmen will, würde er es sehr gerne sehen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Professor Grohmann, mir in Deutschland zunächst eine Förderung zuteil werden lassen könnten (Ausstellung meiner Arbeiten, die bisher in Deutschland noch nicht gezeigt wurden). Das Interesse besteht in erster Linie an den Reliefbildern (Photo beiliegend). Für Ihre wohlwollende Hilfe bedanke ich mich schon jetzt und grüße Sie, freundlichst, Ihr ergebener … “
Dieser Brief bezeugt, dass Zangs bereits 1956 in Kontakt mit den bedeutenden Köpfen der Avantgarde stand und sich um Ausstellungsmöglichkeiten bemühte. Grohmann ließ er in demselben Brief seine biographischen Eckdaten wissen: 1924 in Krefeld geboren, 1946 Studium Kunstakademie Düsseldorf, 1952 erste abstrakte Bilder, 1954 erste Reliefbilder.
In den Jahren 1957 und 1958 hatte Zangs drei Einzelausstellungen in London, und er war damit einer der ersten deutschen Künstler, die dort Fuß fassen konnten. In der New Vision Centre Gallery waren 1957, dem Flyer nach zu schließen, neben „paintings“ auch „drawings“ zu sehen. Diese Kohlezeichnungen führen Zangs Interesse an innerbildlichen Kräften vor Augen, die er durch breite Schraffuren, amorph sowie rhythmisch angelegt, verbildlichen konnte. In dem „Manchester Guardian“ vom 21.5.1957 fällt ein Vergleich mit Sam Francis zu Zangs Gunsten aus. In der Zeitschrift „Art News and Review“ vom 7.6.1957 bezeichnete Pierre Rouve Zangs in einer positiven Besprechung als „Erforscher von Rhythmen“ und in der in New York und London erscheinenden Zeitschrift „Apollo“ im Oktober 1957 wird er in „An Introduction to Abstract painting“ als „one of the most powerful and articulate of younger painters“ hervorgehoben.
Die Londoner Ausstellungen und Rezensionen wurden wiederum euphorisch in der regionalen rheinischen Presse besprochen. 1957 ist Zangs in der von Thwaites kuratierten Ausstellung „Internationaler Bericht“ in der Düsseldorfer Kunsthalle beteiligt. Im gleichen Jahr sind Arbeiten von Zangs in den legendären Ausstellungen der bedeutenden Galeristin Iris Clert in Paris und Rom zu sehen. 1958 zeigte Zangs seine neuen Bilder in der Drian Gallery. Eine Abbildung im Faltblatt der Galerie, die Ausstellungsrezension in der „Neuen Rhein-Zeitung“ mit der Abbildung der Arbeit „Raumproblem konkav – konvex“ sowie ein ebenfalls in der Rhein-Zeitung abgebildeter Entwurf für die Außenwand des Auditoriums der Berliner Kongreßhalle zeigen, dass Zangs sich in dieser Zeit auch mit „informellen“ Fragestellungen auseinandersetzte. Der erwähnte Entwurf wurde mit dem 1. Preis prämiert (K.R.H. Sonderborg kam auf den 2. Platz). Bei diesen Arbeiten sind schwarze, mit Kohle schraffierte Balkenelemente teils durch serielle Reihungen überlagert, teils hat Zangs auf kompositionelle Elemente komplett verzichtet.
Trotz dieser beachtlichen Ausstellungs-Erfolge empfand sich Herbert Zangs selbst 1958 als eher isoliert. Am 24.4.1958 erhielt Zangs von dem legendären Galeristen Rudolf Springer aus Berlin einen Brief, in dem er ihm einen Scheck über 100 DM zuschickte, sich für die Rückgabe von 1000 Lire bedankte und sein anhaltendes Interesse an Zangs Arbeit bekundete. Er erwähnte, dass er noch 5 Arbeiten von Zangs in seiner Galerie hätte. Der Brief lässt auf eine gute, wenn auch lockere Zusammenarbeit schließen. Auf diesem Brief notierte sich Zangs, wie er Springer zu antworten gedachte: „Ich habe mich über Ihren Brief, den ich nun sofort beantworte, sehr gefreut. Es tat mir sehr gut, von Ihnen zu hören, dass Ihr Interesse an meiner Arbeit immer noch da ist. Es ist für mich gut, dieses zu wissen, da ich in der letzten Zeit ein sehr isoliertes Dasein führte. Das Zeigen meiner Arbeiten in Verbindung mit anderen werde ich gerne stattgeben. Bitten möchte ich Sie, wenn eine Ausstellungsmöglichkeit junger Künstler oder sie [die Arbeiten] … dort unter Galerie Springer zu zeigen, da ich in der Auswahl vielleicht zu subjektiv bin.“
Die Scheibenwischerbilder (Abb. unten), die Zangs selbst als „einen ganz wichtigen Abschnitt in meiner Avantgardeexistenz“ und als „Blinklichter für eine neue Richtung in meiner Kunst“ bezeichnete, sind durch in Farbe getauchte Scheibenwischer entstanden. Die in unterschiedlich schneller Frequenz rhythmisch aufgebrachte schwarze, rote oder ultramarinblaue Farbe lässt Wisch-Spuren entstehen. Mit dem Scheibenwischer gezogene, geschabte Flächenelemente kontrastieren beispielsweise mit Sequenzen rasant gestoßener Rhythmen. Die Vielfalt des Ausdrucks, die Zangs durch die mannigfaltige Bearbeitung dieser Technik erreichte, ist beeindruckend. Das Moment des bewussten bildnerischen Gestaltens gerät durch die sich wiederholende Sequenz des Prozesses, Farbe auf die Bildfläche aufzubringen, in den Hintergrund. Wenn Zangs bei der eigenen Reflektion seiner Kunst das Bild von „endlosen Birkenwäldern“ verwendete, so ist dies ein Versuch von Zangs selbst, das von ihm neu entwickelte serielle System semantisch zu verankern. Sicherlich ist diese aus der Natur gespeiste Metapher kein Hinweis, der auf eine „Tradition einer von Ferdinand Hodler als ‚Parallelismus‘ bezeichneten Vorgehensweise“ deutet, wie Cremer-Bermbach vermutet. Die Bezugnahme auf Wirkkräfte in der Natur, um abstrakte Arbeiten anschaulich zu „erklären“, spielte in der Reflektion der Künstler selbst sowie in der Rezeption eine konstante Rolle. Die in dem Zusammenhang geläufige Formulierung „das Unsichtbare sichtbar machen“ ist ein von Kandinsky, Klee, Winter, Berke, Cavael bis zu Thieler tradiertes Stereotyp, welches das Streben manifestieren soll, bildnerische Gesetze analog zur sichtbaren Wirklichkeit zu erforschen.
Die in den Scheibenwischerbildern ausgeprägte Serialität, die Betonung der Struktur durch die Monochromie und die Eindämmung des Gestus entsprechen einer Auffassung, wie sie die sich parallel konstituierende Gruppe ZERO vertrat. Doch unterscheidet sich Zangs Position in einigen wesentlichen Punkten, so dass seine Arbeiten dieser Zeit nur vordergründig in der optischen Erscheinung, jedoch nicht in der Aussage mit den Werken von ZERO übereinstimmen.
Der Eindruck einer puristischen Ästhetik, die bei ZERO durchaus willkommen war, war Zangs suspekt. Sein Plan war keineswegs, die Bildmaterie zu entmaterialisieren, wie es von den ZERO-Künstlern angestrebt war, sondern die Eigenheiten des Materials mit all seinen Brüchen zu erkunden. Der Dialog des Künstlers mit dem Bild, den die ZERO-Künstler zumeist zugunsten der Autonomie des Bildes zurückzudrängen versuchten, ist bei Zangs in einer unbändigen anarchischen Vitalität spürbar. Auch wenn der Gestus bisweilen – wie bei den verweißten Objekten – bis auf ein Minimum reduziert ist, ist das Weichen des subjektiven Ausdrucks subtil thematisiert.
Das Weiß von Zangs kommt eher den nahezu farblosen „Achromes“, die Manzoni ab 1957 geschaffen hat, nahe, als dem Weiß, das für ZERO den Nullpunkt in der Malerei markierte.
Zangs Haltung, glatten, vorhersehbaren Herangehensweisen mit Skepsis zu begegnen, trieb ihn zu einer Neugierde auf die im Werk selbst angelegten Möglichkeiten, die es in aller Fülle auszuschöpfen galt. Dabei interessierten ihn gerade die Unregelmäßigkeiten, die Störungen des Systems, die er geschehen ließ, aber auch selbst provozierte. Übergänge und Zwischenräume fanden seine besondere Aufmerksamkeit. In den Werkfolgen und Serien verfolgte er nicht die Absicht, eine technische Fertigkeit zu verfeinern, um damit die künstlerische Intention zu präzisieren und zu vervollkommnen. Auch in dieser Hinsicht steht Zangs Manzoni näher als Piene und Mack.
Der Umgang mit fertig gestellten Werken lässt einen weiteren Unterschied zwischen ZERO und Zangs erkennen. Zangs integrierte weggeworfene, gebrauchte und beschädigte Dinge und störte sich keineswegs an Brüchen und Momenten der Auflösung. Die Geschichten, die seine Bilder formten, sollten offen zu Tage treten. Heinz Macks Einstellung zum Werk ist dahingehend, dass ihm die perfekte Erscheinung seiner Arbeiten wichtig ist, so dass er den Originalzustand des Bildes, ohne Patina und zeitbedingte Spuren, hergestellt sehen möchte.
Johannes Cladders, der ab 1957 10 Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kaiser Wilhelm Museums in Krefeld war, in dem Zangs ein- und aus ging, beschrieb Zangs als einen Künstler, der „aus dem Bauch“ arbeite: „Das Planerische, Kalkulierte, theoretisch Vorbereitete, das danach sorgfältig Ausgeführte gehörte nicht in die Welt eines Herbert Zangs. Er verachtete es sogar als unkünstlerisch.“ Seine Arbeiten sind, wie Cladders verdeutlicht, „aus nahezu vulkanischer Spontaneität“ entstanden. Gleichwohl sind Zangs Überlegungen, das bezeugen schriftliche Dokumente wie sein Werk selbst, ständige Begleiter seines künstlerischen Schaffens. „Der Gedanke ist wichtig, der ein Werk fundiert“, beschrieb Zangs die Bedeutung der geistigen Durchdringung seiner Arbeit.
Nichtsdestotrotz verfolgte Zangs die Aktivitäten der ZERO-Gruppe mit Interesse. Bei der ZERO-Ausstellung „Avantgarde 61“ im Städtischen Museum in Trier stellte Zangs neben Armando, Bartels, Bischoffshausen, Castellani, Dorazio, Fontana, Girke, Goepfert, Henderikse, Holweck, Mack, Manzoni, Peeters, Piene und Uecker aus. Aufschlussreich ist ein Brief, den Zangs 1975 an Adolf Luther schrieb (Abb. oben). Zangs zeigte sich ob der Ablehnung Schmelas enttäuscht. Diese Ablehnung sei ihm damals auch widerfahren, als er in der Trierer Ausstellung keine weißen Bilder zeigen durfte: „… ich habe auch damals geschimpft, weil ich keine weißen Arbeiten in Trier ausstellen durfte, die hatte ich hingeschickt, aber wie man mir sagte, es sei kein Platz mehr. Ja, Herr Piene ist schon ein Fall + Mack.“
Zangs hatte sich demnach auch mit weißen Arbeiten 1961 in Trier beworben, wurde aber – begründet durch ein Platzproblem – „nur“ mit den „Expansionen“ zugelassen. Offensichtlich sah er die Ablehnung seiner weißen Arbeiten durch Piene und Mack angestoßen. So könnte durchaus, neben seiner naturellbedingten Abscheu gegenüber Gruppen und strikten stilistischen Strömungen, auch gewisse Vorbehalte gegen Mack und Piene ein Grund für Zangs gewesen sein, sich im ZERO-Kreis nicht mehr einzubringen und einen engeren Kontakt zu suchen. 1963 entstand Günther Ueckers Entwurf zum Manifest mit einer handschriftlichen Aufzählung der Künstler, die er wohl in dem weiteren ZERO-Umfeld gesehen hat und bei welcher der Name von Zangs auftaucht. Ueckers Naturell und künstlerische Auffassung dürften Zangs am ehesten entsprochen haben. Doch abgesehen von einigen Ausstellungen, wie z.B. in Wolframs-Eschenbach (1961), im Carnegie-Institute in Pittsburgh (1961) oder der ZERO-Ausstellung „Licht und Bewegung – Kinetische Kunst“ in der Kunsthalle Bern (1965), in denen Zangs ebenfalls teilnahm, gab es wenig Überschneidungen. Zu groß war Zangs Freiheitswille, als dass er sich einer Künstlergruppe oder Strömung dezidiert angeschlossen hätte.
Zangs Hang zum Gegensätzlichen, Plus und Minus, Bewegung und Stillstand, Ordnung und Chaos, ließen ihn nach der Fokussierung auf die weiße Farbe die syntaktischen wie semantischen Möglichkeitsfelder des „Schwarz“ ausloten. Zangs schätzte an der Farbe „Schwarz“ die bildnerische Konzentration, die sie ihm abverlangte: „Die Wahl dieses monotonen Schwarz, in welcher die Möglichkeit der ganzen Spanne von unsagbar vielen Abstufungen meiner Malerei liegt, …gibt mir wiederum eine, fast möchte ich sagen, klausurhafte Zurückgezogenheit.“ In Bezug auf Technik und Material äußerst heterogene Art und Weise fand Zangs in dem Zeitraum von 1958-62 zu seriell-strukturierten Rasterungen, hieroglyphenartig eingeritzten Strichkürzeln, Materialakkumulationen, Stern- und Blütenformen. Teilweise knüpften sie in Bildform und inhaltlicher Aufladung an christliche Themen an, wie das „Schweißtuch der Veronika“, „Gesetzestafeln“ oder „Kreuzigung“, wie sie auch Arnulf Rainer oder Joseph Beuys thematisierten. Das Bedürfnis, die Kunst in den Raum auszudehnen, teilte Zangs Ende der 1950er Jahre mit Künstlern wie Hans Bischoffshausen, Karl Fred Dahmen, Gerhard Hoehme, Bernard Schultze, Emil Schumacher oder Heinrich Wildemann. Diese Interpretation der Ausdehnung des Bildmaterials, stützt Zangs eigene Bezeichnung der „Expansionen“ (Abb. unten) für die Arbeiten dieser Werkphase.
Die Expansionen waren in einer Einzelausstellung im Van der Heydt-Museum in Wuppertal 1963/64 ausgestellt, sowie in der Galerie Kasper in Lausanne 1963 in einer Einzelausstellung und in der Doppelausstellung Megert / Zangs. Mit einer Expansion erhielt Zangs 1962 den hoch dotierten Europa-Preis für Malerei in Ostende. Freudig teilte er dies in einem Brief an Will Grohmann vom 20.10.1962 mit (Abb. links unten).
Auch ein Brief von Juliane Roh vom 5.2.1963 (Abb. rechts unten), die ihn um Daten für einen Beitrag für ein in Paris erscheinendes „Internationales Lexikon heutiger Malerei“ bat, belegt, dass Zangs durchaus eng mit der Kunstszene vernetzt war und von Kunstkritikern mit Wertschätzung wahrgenommen wurde.
Schwarze Arbeiten von Zangs waren neben schwarzen Werken von Adolf Luther in einer Doppelausstellung im Jahre 1961 in der Galerie 59 in Aschaffenburg zu sehen. Luther erinnerte sich 14 Jahre später: „… Zangs war der einzige adäquate Gesprächspartner damals, in dieser Gegend, weit und breit. Er kannte die Probleme, namentlich ihren inneren Ansatz, er hatte eigene Wege der künstlerischen Bewältigung gefunden. Von daher hatte er einen eindringlichen Zugang in mein pastos-konkretes Werk. Schon vorher, 1957 hatte ich große Scheibenwischerarbeiten hier bei Herrn Dr. Steffens in der ‚Rheinischen Post‘ hängen sehen. Aus dieser Zeit stammt die Serie seiner eigenen schwarzen Arbeiten. Wenn wir damals auch Differenzen bekommen hatten, so sah ich doch, dass seine Arbeiten eine ganz eigene, in sich stimmige Bildsprache hatten… .“
Es ist Adolf Luther zugute zu halten, trotz dieser von ihm angesprochenen Differenzen die Qualität von Zangs Werk erkannt zu haben. Die Vermutung Luthers, Zangs hätte von ihm die schwarze Farbe und die Art der Farbpaste „geklaut“, hielt er wohl selbst aus der zeitlichen Distanz und Reflexion für abwegig. Tatsächlich war Zangs für Luther, der erst 1957 von der Juristerei zur Kunst gewechselt hat, ein Vollblutkünstler, der Erfolge zu verbuchen hatte, weltweit Kontakte in der Kunstszene pflegte und vor allem dessen wandelbare Kreativität nicht zu stoppen war. Sicherlich hat die Rezension der Regionalpresse der Ausstellung in der Galerie 59 (Abb. unten), die für ihn im Vergleich zu Zangs nicht positiv ausfiel, Luthers Ärger damals verstärkt. Doch war es Luther, der nach den Anfängen von Zangs Kunst forschte, die Ausstellung im Westfälischen Kunstverein in Münster 1974 initiierte und eine der bedeutendsten Sammlungen von Zangs Werken zusammentrug.
Luther, der 1957/58 noch abstrakt und informell arbeitete, war in diesen Jahren vor allem auf der Suche, um seine Vision, Licht zu materialisieren, umzusetzen. So ließ Luther die kurze Phase der Materialbilder Anfang der 1960er Jahre bereits hinter sich, um in den Hohlspiegelobjekten und Lichtschleusen sein künstlerisches Ziel zu vervollkommnen. Zangs und Luther näherten sich in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren stilistisch zwar einander an, doch haben ihre schwarzen Arbeiten eine gänzlich andere Intention und Aussage.
Seit Malewitsch zogen die Farben Schwarz und Weiß die Künstler an, um den multidimensionalen Bedeutungskomplex beider Farben zu erforschen. Die Möglichkeit der starken Kontraste, die Aussagekraft der Monochromie sowie der Spiritualität der zwei Farbpole zogen speziell Künstler der 1950er und 1960er Jahre in ihren Bann. Neben den Informellen, wie K.O. Götz, Norbert Kricke, K.R.H. Sonderborg, Pierre Soulages oder Fred Thieler und den ZERO-Künstlern mit Umkreis setzte sich Robert Ryman in allen Facetten mit „Weiß“, Ad Reinhardt, Robert Rauschenberg oder Arnulf Rainer mit „Schwarz“ auseinander. In diesem Sinn konstatierte Werner Ruhnau 1974: „Die Beschäftigung mit der Farbe Weiß und das ganze Experiment ‚Zangs‘ waren damals nicht außerhalb der Zeit, so wie das heute scheinen mag“.
In den 1970er Jahren brachte Zangs die archetypischen, verweißten Objekte und Collagen der früheren Werkphase auf eine andere Reflexionsebene. Wieder nutzte er einen längeren Arbeitsaufenthalt in einer Fabrik, dieses Mal Daimler in Stuttgart, um seine Kunst in einer größeren Dimension und in neuen Bezügen zu verwirklichen. Sackleinen, Wellpappe, Gaze, Drahtgitter fungieren als Bildträger, und sind zugleich – gefaltet, geknittert und getackert – das Bild selbst. Schnüre, Kordeln, Tackerklammern setzen Akzente, fassen zusammen, geben Rahmen oder übernehmen den „gestischen“ Part (Abb. unten). Der Diskurs um die Rolle des Zufalls schwingt mit. Rechenzeichen tauchen in seinem bildnerischen Vokabular der 1970er Jahre zwar auf, doch tritt der archaische Tenor zurück. Stattdessen setzte Zangs die Rechenzeichen als Assoziationen erzeugende, evokative Zeichen ein.
Neben der strukturellen Präsenz und energetischen Konnotation, die diese Zeichen ausstrahlen, war diese Werkphase „Plus-Minus“ nicht nur ein konstruktives Exempel, sondern laut Zangs „die große Formel des wundersamen, unerklärlichen Lebens“, die sich „auf mannigfache Weise“ immer wieder manifestiert.
Fotoansichten der Zangs-Ausstellungen im Kunstverein Gelsenkirchen 1976, im Wiesbadener Museum und anschließend im Mannheimer Kunstverein 1978 geben einen faszinierenden Einblick in sein Schaffen der 1970er Jahre. Die Mannheimer Ausstellung ist zudem durch die Präsentation der Werke durch Zangs selbst ein Stück Ausstellungsgeschichte in Deutschland. Während dort Bodeninstallationen neben Sackleinen-Bildern, Drahtgitter-Arbeiten und Antibüchern zu sehen waren, konnte man sich den „Antibüchern“ speziell auf der DOCUMENTA 1977 nähern. 9 Arbeiten aus dieser bedeutenden Werkphase, die die Grenzen der Kunstformen sprengen und im wahrsten Sinn des Wortes neue „Lesarten“ erfordern, waren in der Sektion „Bücher – Metamorphosen des Buches“ ausgestellt und im Anschluss daran 1978 in der Ausstellung „The Book of the Art of Artist’s Books“ im Museum of Contemporary Art in Teheran zu sehen.
Ab 1979 setzte Zangs nochmals neu an und fand Werkphasen, die in ihrer Aktualität und Präsenz überraschen. Seine Pinselabwicklungen, Blasenbilder (Abb. unten) oder Computerzeichnungen thematisieren allesamt die Rolle der Malerei und des Künstlers selbst. Die Bedeutung des Zufalls wird in diesen Bildfindungen neu aufgerollt, neue Fragen bezüglich der Serialität gestellt. In keiner Publikation wurden diese Werkperioden bislang gebührend beleuchtet und aufgearbeitet. Nach unserer retrospektiv angelegten Ausstellung „Herbert Zangs – Vom Sinn des Chaos“ 2016/17 werden wir uns in einer der kommenden Ausstellungen diesem Zeitraum in Zangs Schaffen widmen.
In vielen Arbeiten ist Zangs ausgeprägter Humor spürbar, der auch bei Beuys oder Manzoni eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Alle drei Künstler haben die Annäherung und Überschneidung von Alltag und Leben in ihrer Kunst thematisiert. Den Drang, sich stets zu wandeln, Impulse wie ein Schwamm aufzunehmen, Anregungen zu inhalieren, sich immer wieder neu zu erfinden und sich nicht mit einmal gefundenen Bildlösungen zufrieden zu geben, hatten Beuys, Manzoni und Zangs gleichermaßen verinnerlicht. Die Grenzen von Leben und Kunst waren fließend, als Zangs in seiner Aktion als Koch mit Pfannen und Rechenzeichen hantierte. Diese Aktion nimmt sicher nicht zufällig Bezug auf Manzonis Aktion, als er Eier vor Publikum kochte, mit Daumenabdruck signierte und von den Zuschauern als „Kunst“ verspeisen ließ. Nicht zu vergessen sind Manzonis legendäre „merda d’artista“ oder „Linien“ in Dosen, die sich dem Akt der Verifizierung durch den Betrachter verschließen.
In der von Herbert Zangs 1975 konzipierten Aktion „Sprengung und Befreiung“ (Abb. unten) mutiert der Künstler selbst zur Kunst, indem er sich mit einer weißen Kordel verspannt, gewissermaßen sich selbst „verweißt“ und sich dann aus dem weißen Kokon befreit. Gerade bei Zangs möchte man in den Fesseln, die er sich anlegte, die Zwänge sehen, denen er sich mit eigener Kraft entledigte. Diese Aktionen sind eindrückliche Stationen, mit denen Zangs den Kunstbegriff einerseits in Frage stellte, andererseits erweiterte.
Über vierzig Jahre sind vergangen, seit der bedeutende Pierre Restany, größter Kenner und Katalysator der Objekt-Kunst und Gründer des „Nouveau Réalisme“, Zangs als Phänomen bezeichnete. Er war sich dessen Zwischenstellung bewußt und bezeichnete seine Kunst als „eigenständiges und antizipatorisches Werk, das in seiner Entwicklung kohärent und offen ist“.
Seit 1977 hat sich Manfred Schneckenburger, der Leiter der Documenta 77 und 87, mit Zangs beschäftigt und er kam ebenso zur Überzeugung, Zangs habe ein antizipatorisches Werk geschaffen. Sein Plädoyer (1994) an die Kunstgeschichte lautet: „Hier bleibt mehr zu tun als die übliche Rangelei um ein kunsthistorisches Patent: die Klärung eines komplexen Zusammenhangs“.
Dringend scheint ihm die Klärung der Frage, wie Zangs von anderen Künstlern rezipiert wurde. Denn dass Zangs nicht folgenlos war, wie Honnef noch vermutete, war sich Schneckenburger sicher. Schon Joseph Beuys äußerte 1974 den oft zitierten Satz: „Er [Zangs] lieferte eine ganze Reihe von Gegenbildern, an denen man sehr viel Orientierung finden konnte.“
Bei der weiteren Erforschung des Werks von Zangs muss vor allem die Einbettung der Arbeiten in den internationalen Kontext im Fokus stehen. So könnte der Querbezug zur Kunst der Materialbilder der 1950er Jahre aufschlussreich sein, wie sie der italienische Künstler Alberto Burri oder der belgische Künstler Bram Bogart verfolgt haben. Interessant und wichtig ist es, den Zusammenhang von Zangs und Informel als auch von Zangs und Objekt-Kunst zu klären. Ausstellungen, wie „Das offene Bild. Aspekte der Moderne in Europa nach 1945“ von 1993 im Westfälischen Landesmuseum in Münster und im Anschluss im Museum der bildenden Künste in Leipzig oder „.cremers.haufen. alltag. prozesse. handlungen: kunst der 60er jahre und heute“, ebenfalls im Westfälischen Landesmuseum in Münster von 2004 und die noch bis zum Frühjahr 2021 laufende Ausstellung „Aggregatzustände. Das Material der Kunst von Abfall bis Zement“ zeigten Zangs bereits in dem Kontext der Objektkunst. Zu untersuchen wäre auch, ob es erhellende Parallelen zu den Strukturforschungen von Hans Bischoffshausen oder zu den Arbeiten von Jan Schoonhoven gibt.
Ein interessanter Ansatz fand sich in der von Didier Semin und Didi-Huberman kuratierten, im wörtlichen Sinn beeindruckenden Ausstellung „L’Empreinte“ 1997 im Centre Georges Pompidou in Paris, in der Zangs-Arbeiten Werken von Hantai, Arman, Manzoni und Fontana gegenüber gestellt wurden. Didi Huberman widmet sich in seiner Forschung interdisziplinär der Dialektik der Präsenz und dem gleichzeitig im Bild angelegten Moment des Entziehens, der seiner Ansicht nach zu einer „Unübersetzbarkeit in Sprache“ führt. Um die im Bild immanenten Aspekte, die auf einer Meta-Ebene ihre Wirkkraft entwickeln, lesen und empfinden zu können, ist es laut Huberman dringend erforderlich, das traditionelle Instrumentarium der Kunstgeschichte zu hinterfragen und zu erweitern.
Eine weitere sehr aktuelle Frage wird sein, inwieweit es sinnvoll ist, Werk und Autor zu trennen. Die 2019 organisierten Ausstellungen „Emil Nolde – Eine deutsche Legende“ im Hamburger Bahnhof in Berlin und „Making Van Gogh“ im Städelmuseum in Frankfurt zeigten, wie differenziert und sensibel dieses Thema von Fall zu Fall zu behandeln ist. Zangs komplexes Werk ist nur schwer von der Künstlerpersönlichkeit Zangs zu trennen, doch liegt vermutlich gerade in dieser engen Verkoppelung von Werk und Autor die Begründung, weshalb die Verortung des Werks derart verschlungene Wege geht.
Zangs gibt als Künstler Erzählungen und Mutmaßungen nie versiegenden Stoff und Raum. Auch posthum treiben die Aufklärungsversuche seltsame Blüten. Viele Zeitgenossen hatten mit ihm Kontakt, verbinden denkwürdige, prägende und äußerst positive Erlebnisse mit ihm, aber auch demütigende unschöne Begebenheiten verknüpfen sich mit dem Künstler. All diese Zeitgenossen sind Zeugen, die ihr subjektives Bild von Zangs und ihre eigene, unterschiedlich motivierte Interpretation von Zangs Kunst in die Welt tragen. Zangs, einst Künstler außerhalb der Gesellschaft, „rumort“ nun mitten in ihr. Zur Zeit gibt es Bestrebungen, sich auf der psychoanalytischen Warte der Kunst von Zangs anzunähern.
Die Kunstgeschichte hat nun die Aufgabe, sich von diesen Bewertungen, Animositäten, ja von der eigenen Rezeptionsgeschichte zu lösen, um ohne Vorbehalte und frischen Blicks auf das Werk per se zugehen zu können. Dem Vorwurf, der Zangs des öfteren gemacht wurde, sich stilistisch nicht positioniert und Stellung bezogen zu haben, entgegnete Zangs: „Welchen Standpunkt oder Standort hätte ich noch beziehen sollen, als durch meine Werke…“
In der Rezeptionsgeschichte schwanken die gegensätzlichen Thesen von Zangs als wichtigem Vorläufer der Nachkriegszeit, der Kunstströmungen antizipierte, bis zu Zangs, der Ideen anderer Künstler wegen seiner Profilneurose für sein Werk vereinnahmte. Zangs Werk und seine historische Verortung mussten sich schon viele „Schubladen“ gefallen lassen. Bei Zuordnungen wie „Bastelei“ oder „Bastelkunst“, die in keinster Weise dem Werk gerecht werden, ist Vorsicht angeraten, da sie dem Fälschen von Zangsbildern Vorschub leisten. Zur Zeit sind sehr viele Zangs-Fälschungen im Umlauf, die speziell im Internet angeboten werden. Viele dieser zweifelhaften Bilder haben nicht anerkannte Expertisen. Wir möchten mit Nachdruck darauf hinweisen, dass Emmy de Martelaere von Herbert Zangs als Einzige bevollmächtigt wurde, auch nach seinem Tod Expertisen für Arbeiten bzw. das Werkverzeichnis zu erstellen. Derzeit ist der Werkkatalog (Tome III, Fascicule Nr. 2), in dem sich Emmy de Martelaere ausführlich mit Zeichnungen und Schreibbildern im Zeitraum von 1970 bis 1980 befasst, in Vorbereitung.
Nachdem Zangs 1969 bereits eine Ausstellung in New York in der Center Art Gallery hatte, waren seine Bilder ein halbes Jahrhundert später erneut in New York zu sehen. Die renommierte Galerie Blain & Southern präsentierte nach ihrer Ausstellung „Zangs – Less is more“ in Berlin 2018, 2019 in New York eine weitere Zangs-Ausstellung mit dem Titel „Plus Minus“. Spürbar war in der Ausstellung der unvoreingenommene Blick, der mit großer Selbstverständlichkeit Zangs in die Reihe der großen Amerikaner, wie Robert Rauschenberg und Robert Ryman, stellte. Zu der Ausstellung, die in Zeitschriften wie Art in America und Artforum besprochen wurde, erschien ein Booklet mit einem Interview von Emmy de Martelaere und Antoon Melissen.
Erst kürzlich wurde Herbert Zangs in das renommierte Kompendium „Künstler – Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst“ aufgenommen.
Ein guter Freund von Zangs, der große Schriftsteller und Philosoph Albert Camus, wurde folgendermaßen von seiner Geliebten charakterisiert: „Er hat nie versucht, auch nur einen seiner Widersprüche zu lösen, er wollte das Leben und das Sein niemals beschneiden.“ In diesem Sinne bleibt uns, das Werk von Zangs zu befragen. Antworten vermag das beredte Werk von Herbert Zangs in all seinen Werkphasen vielschichtig zu geben.
Carolin Weber
Aktuelle Veröffentlichungen
POSITIONEN DES DEUTSCHEN INFORMEL
Von Ackermann bis Zangs
Schriften der Kunsthalle Schweinfurt 247/2021
Carolin Weber: Der Grenzgänger Herbert Zangs – Informel als Etappe
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